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Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe [Rezension]

Cover Alina Bronsky Baba Dunjas letzte Liebe
Cover © Kiepenheuer & Witsch

Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben im Niemandsland auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Doch dann kommt ein Fremder ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung. (Inhaltsangabe © Kiepenheuer & Witsch)

Es gibt Autoren, bei denen man einfach jedes neu erschienene Buch kauft, ohne überhaupt auf den Klappentext zu achten. Alina Bronsky gehört für mich dazu. Seit Scherbenpark ist jedes ihrer Bücher ein Muss, auch wenn mich nicht jedes himmelhochjauchzend begeistert, so sind sie doch alle lesenswert. “Baba Dunjas letzte Liebe” ist wieder ein absoluter Glücksgriff gewesen. Dieses Buch konnte mich auf ganzer Linie begeistern – von der ersten bis zur letzten Seite. Nein, eigentlich war es sogar viel zu kurz, ich hätte gern noch länger bei dieser wunderbar bodenständigen und geradezu weisen alten Frau, der Baba Dunja, verweilt.

Baba Dunja lebt in Tschernowo, einem kleinen Dorf am Rande der Todeszone von Tschernobyl. Wer hierher kommt, trägt in der Regel einen Schutzanzug und einen Geigerzähler. Doch einige Menschen sind in ihre Heimat zurückgekehrt und leben zufrieden mit dem, was das verstrahlte Land hergibt. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, Strom gibt es per Zufallsprinzip und das Gemüse gedeiht prächtig. Nur die Spinnen weben merkwürdige Netze und die Vögel singen lauter als anderswo. Die Menschen, die in dem kleinen, dem Verfall preisgegebenen Dorf wohnen, haben einen Grund, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen. Doch wenn dann jemand kommt und ein Kind nach Tschernowo bringt, dann müssen schon mal drastischere Maßnahmen her.

Alina Bronsky lässt ihre Ich-Erzählerin Baba Dunja fast schon lakonisch das Leben in dem kleinen Dorf beschreiben. Mit Humor betrachtet Dunja ihre Mitmenschen und das Leben in der Todeszone und trifft dabei oft mitten ins Herz. Was mich an dieser Frau so mitreißt ist wohl die Art, wie sie am Ende ihres Lebens ihren Platz gefunden hat. Sie hat alles losgelassen, was sie zum Überleben nicht braucht und entscheidet völlig autark. Nur zu ihrer Tochter in Deutschland hält sie ein dünnes Band. Die Fahrten in die Stadt Malyschi, um Pakete abzuholen und vor allem die immer wieder gelesenen Briefe geben Dunja Halt. Der Gedanke an die ferne Enkelin, die sie nie gesehen hat, macht Dunja Freude.

Baba Dunja hat Prinzipien, für die sie einsteht. Als alter Frau sieht man ihr Einiges nach, so dass sie das Alter zu ihrem Vorteil zu nutzen weiß. Mit ihrem manchmal auch unfreiwilligen Humor und viel Herz meistert sie das Leben und zieht so alle Dorfbewohner nicht nur auf ihre Seite, sondern manchmal auch aus dem Sumpf des Lebens.

Alina Bronsky gelingt es auf wenigen Seiten mit ihrer klaren Sprache und wenigen Worten ausdrucksvolle Bilder zu zaubern. Es entsteht ein eindrucksvolles Bild der Rückkehrer, die es tatsächlich gibt. Zu ihrem Buch wurde Alina Bronsky eben auch durch einen solchen Bericht inspiriert. Manches bliebt in dem kurzen Roman ungesagt. Nicht alles ist immer nachvollziehbar und die mystische Komponente mit der Geisterwelt ist manchmal verstörend, vielleicht aber auch ein Mittel, um aufzuzeigen, dass das Leben in der Todeszone unwirklich ist und bleibt.

Meiner Meinung nach hat es “Baba Dunja” zu Recht auf der Longlist des deutschen Buchpreises geschafft und wäre auch des Preises würdig gewesen. Ein wundervolles Buch, das berührt und zum Nachdenken anregt.

© Tintenhain


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Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

Einzelband
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch (17. August 2015)
ISBN-10: 3462048023
ISBN-13: 978-3462048025
Preis: € 16,00 [D]
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Cover © Kiepenheuer & Witsch

4 Kommentare

  1. Mir hat dieses Buch ebenfalls richtig gut gefallen und ich werde die Geschichte noch lange im Gedächtnis behalten.
    Ich mag den Schreibstil von Alina Bronsky ebenfalls sehr gerne.
    Liebe Grüße,
    Jane

  2. Auf Facebook hatte ich es bereits kommentiert: Mich konnte das Buch leider gar nicht begeistern. :-/ Den Anfang fand ich so klasse und ich musste so schmunzeln über Baba Dunja. Aber mit dem Erscheinen der beiden Neulinge in der Todeszone wurde mir die Handlung doch etwas zu skurril. Lesespaß hatte ich dann leider keinen mehr. Schade!

  3. Ich habe mich seit Maras Artikel dazu entschlossen, es nicht zu lesen und doch muss ich sagen, dass es immer noch ein wenig in den Lesefingern juckt. Wie du schon sagst…seit Scherbenpark…ja…ich bin auch so eine Käuferin, die kauft, wenn sie einmal bei einem Titel Leseblut geleckt hat.
    Danke liebe Tintenelfe.

    1. Ich kann Mara ansatzweise verstehen, wenn sie die Wende skurril und unpassend findet, mich hat das nicht gestört. Beim Lesen hatte ich meinen Fokus einfach woanders. Ich mag Bronskys Sprache und die Stimmung, die sie damit erzeugen kann. Ich bin auch froh, dass ich vorher keine Rezensionen, ja nicht einmal den Klappentext gelesen habe, so konnte ich mich geradezu unbedarft in den Text fallen lassen. Anschließend habe ich mit Interesse viel zum Thema gelesen und recherchiert.

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