A. J. Finn: The Woman in the Window [Rezension]
Anna Fox lebt allein. Ihr schönes großes Haus in New York wirkt leer. Trotzdem verlässt sie nach einem traumatischen Erlebnis ihre vier Wände nicht mehr. Anna verbringt ihre Tage damit, mit Fremden online zu chatten, zu viel zu trinken – und ihre Nachbarn durchs Fenster zu beobachten. Bis eines Tages die Russels ins Haus gegenüber einziehen – Vater, Mutter und Sohn. Bei dem Anblick vermisst Anna mehr denn je ihr früheres Leben, vor allem, als die neue Nachbarin sie besucht. Kurze Zeit später wird sie Zeugin eines brutalen Überfalls. Sie will helfen. Doch sie traut sich nach wie vor nicht, das Haus zu verlassen. Die Panik holt sie ein. Ihr wird schwarz vor Augen. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht, will ihr niemand glauben. Angeblich ist nichts passiert… (Klappentext)
Seit Monaten ist Anna Fox nicht mehr aus dem Haus gegangen. Sie lebt allein in dem großen Haus in einer guten Gegend. Ihr Mann und ihre Tochter haben sie verlassen, gelegentlich spricht sie mit ihnen. Ansonsten ist da nur noch der Mieter David, damit das Haus nicht allzu leer ist. Annas Tage bestehen aus einem Mix aus Medikamenten, Alkohol und alten Schwarz-Weiß-Filmen. Mit besonderer Vorliebe beobachtet sie die Nachbarn aus dem Fenster heraus. Sie weiß, wie sie heißen, wann sie kommen und gehen. Kontakt zu anderen Menschen hat sie nur in einem Internetforum für Agoraphobiker. Hier hilft die ehemalige Kinderpsychologin mit Rat und einem offenen Ohr. Nur sich selbst kann sie nicht helfen.
Als Anna eines Tages beobachtet, wie die neue Nachbarin in ihrem Haus brutal angegriffen wird, stößt sie endgültig an ihre Grenzen. Sie kann einfach nicht das Haus verlassen, um Jane Russell, die vor kurzem noch in ihrer Küche saß, zu helfen. Schlimmer noch, später will ihr niemand glauben. Bei den Russells ist alles in bester Ordnung. War alles nur ein wahnwitziger Traum aus Medikamenten, zu viel Alkohol und Filmfetzen?
Ein spannendes Szenario, vielleicht nicht ganz neu, aber doch immer wieder fesselnd und packend. Ich mag diese Bücher, bei denen man nicht weiß, inwieweit man dem Erzähler trauen kann. So ähnlich erging es mir bei “Manchmal lüge ich“, doch hier bei “The Woman in the Window” wird das Vertrauen zudem noch durch Annas immensen Alkoholkonsum vermischt mit starken Psychopharmaka erschüttert. Anna schaut den ganzen Tag alte Schwarz-Weiß-Filme in Hitchcock-Manier an und die Zitate aus den Filmen vermischen sich mit der Realität. So fiel es mir anfangs auch nicht ganz leicht, in die Geschichte hineinzufinden. Andererseits liegt genau hier der Reiz, denn wenn man selbst nicht mehr weiß, was eigentlich los ist, woher soll Anna wissen, ob sie sich selbst trauen kann?
Der Thriller nimmt jedoch mit dem beobachteten Mord an Spannung und Intensität zu. Hier werden auch Annas Gedanken klarer. Besonders gelungen ist A. J. Finn dabei das Porträt einer Frau, die an Depressionen und Agoraphobie (Platzangst) leidet. Dadurch, dass Ich-Erzählerin Anna selbst Psychotherapeutin ist, kann sie sehr reflektiert darüber sprechen. Im Falle anderer Agoraphobiker ist sie sogar in der Lage, Unterstützung zu leisten. Der Fokus auf Annas enormen Alkoholkonsum gepaart mit der willkürlichen Einnahme von Psychopharmaka war mir dabei manchmal ein wenig zu viel. Hier sollte eindeutig auf die Unzurechnungsfähigkeit plädiert werden, was irgendwann ermüdend wurde.
Auch der erste große “Paukenschlag” war mir inzwischen schon klar geworden und konnte mich nicht mehr besonders überraschen. Doch im letzten Viertel zieht die Spannung noch mal so richtig an und hier kommt A. J. Finn dann auch mit tollen Plottwists daher, mit denen man so nicht mehr gerechnet hat. So entwickelt sich “The Woman in the Window” doch noch zu einem tollen, spannungsgeladenen Thriller, man benötigt anfangs nur ein wenig Durchhaltevermögen.
A. J. Finn schreibt spannend und schlüssig, vor allem die psychologischen Themen erschienen mir gut recherchiert und authentisch. Die Figuren und ihr Handeln sind somit glaubwürdig und nachvollziehbar. So konnte mich der Thriller zunehmen in seinen Bann ziehen und begeistern. Interessant fand ich auch das offensichtliche Spielen mit alten Filmen wie “Das Fenster zum Hof”, “Vertigo” oder “Arsen mit Spitzenhäubchen” – Inspiration und Hommage zugleich.
© Tintenhain
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Rici’s Reading Corner
Broschiert: 544 Seiten
Verlag: Blanvalet Verlag (19. März 2018)
Originaltitel: The Woman in the Window
Übersetzung aus dem Amerikanischen: ISBN-10: 3764506415
ISBN-13: 978-3764506414
Preis: 15,00 € (D)
Rezensionsexemplar
Ich hab nach dem Lesen des Klappentextes schon Lust auf das Buch bekommen – nachdem ich die Rezension fertig gelesen habe, würde ich das Buch am liebsten sofort lesen.
Ich finde, es ist schon etwas speziell, aber es lohnt sich. 🙂
Klingt auf jeden Fall sehr interessant. Deine Rezension ist toll geschrieben, da kann man dem Buch definitiv eine Chance geben. 😉
Danke. Es ist schon etwas speziell, aber man sollte dem Thriller durchaus eine Chance geben.
Hallo Mona, Deine Rezi hat mein Interesse geweckt, obwohl ich nicht der typische Thriller-Leser bin…
GLG Angela
Klingt gut! 😄
Das klingt wirklich gut. Direkt mal auf die Wunschliste gesetzt. Danke für die Inspiration. 🙂
“Fenster zum Hof” war das Erste, was mir einfiel als ich das tolle Titelblatt sah – kommt auf meine Wunschliste!
Dachte erst “uuhhh haben wollen”, dann dachte ich lieber nicht, Neuerscheinung und keine individuelle Story! Leider las ich dann eine sehr begeisterte Rezension und auch deine verführt zum lesen wollen – das ist doch schlimm 😀 Und “Manchmal lüge ich” muss ich auch endlich lesen, liegt ja schon hier <3
So sehr begeistert bin ich ja nicht. Gerade am Anfang hatte ich so meine Schwierigkeiten in das zu reinzukommen. Dann wurde es aber sehr viel besser bis auf die Betonung des Alkohol-Medi-Mixes. Als wäre ich zu blöd, mir das über 20 Seiten merken zu können. Okay, das war jetzt vielleicht härter ausgedrückt als gemeint. Insgesamt lohnt es sich schon.
Mich können aber eben auch anfängliche Schwierigkeiten neugierig machen bzw. wenn eine Geschichte sich darauffolgend steigert 😉
Man muss Tatsachen auch mal hart benennen können!