Tintenhain – Der Buchblog

Margit Ruile: Dark Noise [Rezension]

Cover Dark Noise (c) Loewe Verlag

Zafer arbeitet als freiberuflicher Bildretuscheur. Und er ist der Beste. Er kann sogar die Wassertropfen auf einer Sektflasche so täuschend echt nachbilden, dass der Betrachter seiner Filmsequenzen glaubt, er würde sich darin spiegeln. Einen Mann in das Überwachungsvideo einer Tiefgarage einzufügen, ist dagegen ein Kinderspiel. Merkwürdig ist nur, dass dieser Auftrag anonym war.
Tage später erkennt Zafer durch Zufall eines seiner Videos in den Nachrichten über einen Journalistenmord wieder. Es zeigt, wie der mutmaßliche Täter den Tatort, eine Tiefgarage, verlässt.
In Wirklichkeit ist der Mann nie dort gewesen. Aber das weiß nur Zafer. (Klappentext)

Nachdem ich den Klappentext in der Vorschau gelesen hatte, war mir klar, das ich dieses Buch lesen müsse. Technik, Betrug, Gefahr, Geheimnisse – ein perfekter Thriller. Doch dann hatte ich zunächst immense Schwierigkeiten in das Buch hineinzufinden. Die Erzählperspektive war verwirrend. Ein Ich-Erzähler berichtet über Zafer, springt dabei in der Zeit vor und zurück und man hat keine Ahnung, wer da immer wieder den Leser anspricht. Zafers späteres Ich oder jemand anderes? Die Geschichte scheint kryptisch, die Beschreibungen sind bildhaft und abstrakt zugleich. Durch die gelungene düstere Atmosphäre drängt sich der Eindruck auf, man befinde sich in einem Kunstfilm, in dem die Einstellung schnell wechselt.

Zafer ist ein begnadeter Retuscheur. Wenn er die Soaps und Filme bearbeitet, um Mikrofone aus dem Bild zu löschen oder Schleichwerbung durch neutrale Produkte zu ersetzen, entstehen kleine Kunstwerke. Niemand ist so gut wie er.
Zafers Welt ist eine aus verdunkelten Räumen, Hinterhöfen, Tiefgaragen und geheimen Gängen im Untergrund. Er ist menschenscheu, zurückhaltend und würde am liebsten nicht nach draußen gehen. Den einzigen Kontakt, den er hat, ist der zu seiner jüngeren Schwester, die ihn ab und zu besuchen kommt. Als eine Pizzalieferung ausfällt, muss Zafer auf die Straße, wo er der Straßenmusikerin Emily begegnet, die ihn mit ihrem Gitarrenspiel und ihren faszinierenden Augen aus seiner Lethargie reißt. Nach einer plötzlichen Verfolgungsjagd, bei der Zafer keine Ahnung hat, worum es geht, ahnt er, dass das geheimnisvolle Mädchen einer Organisation namens “Dark Noise” angehören muss. Zeitgleich bekommt der talentierte Retuscheur einen anonymen Auftrag, den er mal eben aus dem Handgelenk bearbeitet. Und weil er der Beste ist, folgen weitere Aufträge, immer anonym und gut bezahlt. Zafer ahnt, dass etwas faul sein muss, doch die Herausforderungen, die immer größer werden, faszinieren ihn. Erst als er feststellt, dass seinetwegen ein Unschuldiger wegen Mordes gesucht wird, beginnt er die Aufträge zu hinterfragen. Immer wieder stößt er dabei auf Emily, die ihrerseits von Zafer fasziniert ist.

Trotz meiner anfänglichen Schwierigkeiten, dranbleiben lohnt sich. Denn nach einer Weile entwickelt sich “Dark Noise” zu einem spannenden Roman und auch die Zeitsprünge kommen nicht mehr vor. Die Erzählweise wird stringent, und nach etwa einem Drittel gesellt sich Emily als Ich-Erzählerin hinzu. Das Bild setzt sich zunehmend zu einem Ganzen zusammen. Die düstere Stimmung, die szenische Umsetzung, die geradezu filmische Qualität hat und die geheimnisvolle Atmosphäre von Verschwörung bilden einen Sog, dem man sich kaum noch entziehen kann.

Die technischen Beschreibungen sind weitestgehend nachvollziehbar, verständlich und nehmen auch nicht überhand. Die sich entwickelnde Beziehung zwischen Zafer und Emily ist leise und zart, was mir sehr gut gefallen hat. Margit Ruile hat einen schnellen, szenischen Schreibstil und die Sprache ist ausdrucksstark und zuweilen fast schon poetisch.

Das Thema Überwachung und Manipulation ist zeitgemäß und regt durchaus auch abseits des Buches zum Nachdenken an. In einer Gesellschaft, in der Sicherheit durch Überwachung suggeriert wird und Kameras unser Leben stetig begleiten und dokumentieren, was ist da abseits von Kontrolle möglich?

“Dark Noise” hat sich trotz des etwas zähen Beginns zu einem spannenden Jugendbuch entwickelt. Zwar handelt es sich nicht um einen atemberaubenden Thriller, jedoch versteht Margit Ruile es, den Leser nicht nur in eine packende Geschichte zu verwickeln, sondern auch ein aktuelles Thema spannend zu präsentieren. Am Ende wird übrigens auch klar, bei wem es sich um den anfänglichen Ich-Erzähler handelt und es ist ganz interessant, den Anfang noch mal zu lesen.

Zu “Dark Noise” gibt es mit “Dark Noise – Argos sieht alles” eine Vorgeschichte als eShort, wobei ich dazu raten würde, es erst hinterher zu lesen, da bereits viel über die Hintergründe verraten wird.

© Tintenhain

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Leseprobe

 

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Margit Ruile: Dark Noise

Einzelband
Taschenbuch:
288 Seiten
Verlag: Loewe (13. März 2017)
ISBN-10: 3785584466
ISBN-13: 978-3785584460
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: € 14,95 [D]
Rezensionsexemplar

Cover (c) Loewe Verlag

7 Kommentare

  1. Danke für deine schöne Rezi! Das Buch läuft mir immer wieder über den Weg. Vielleicht ein Zeichen?!?😊 Ist jetzt erstmal auf die Merkliste gewandert.
    Liebe Grüße

    1. Ich denke, die Meinungen dazu sind recht unterschiedlich, der Anfang fiel wohl nicht nur mir schwer. Ich habe noch drei andere Rezis verlinkt.

      Liebe Grüße
      Mona

  2. Hallo Mona,
    Danke für die Empfehlung. Ich finde das Thema ja auch sehr aktuell und werde mir das Buch mal merken. Es ist schon unheimlich, was man mit der modernen Technik heute alles machen kann und, wie schnell es geht, dass jemandem etwas angedichtet wird, was er nie getan hat. Früher konnten Gerüchte nur erzählt werden, heute gibt es mit Pech gleich noch gefakte Beweise dazu. Schon erschreckend.
    Im Moment habe ich aber einfach genug Lesestoff.
    LG
    Yvonne

  3. Liebe Mona,

    schön, dass du nach anfänglichem holpern noch in die Geschichte gefunden hat. Mir gefällt es immer sehr gut, wenn ein Buchthematisch in unsere heutige Zeit passt und ich Denkanstöße erhalte, um selbst zu reflektieren. Ich glaube dass mich dieses Buch schon packen könnte.

    Liebe Grüße

    Nisnis

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