Tintenhain – Der Buchblog

Ein Tal in Licht und Schatten – Südtirol im Ersten Weltkrieg [Blogtour Bella Italia]

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Ich freue mich sehr, in diesem Jahr Teil der interessanten und vielfältigen Blogtour “Bella Italia” sein zu können, die von Silvia und Astrid vom Blog Leckere Kekse ins Leben gerufen wurde. Die bisherigen Beiträge fand ich toll und ich habe lange überlegt, was ich dazu beitragen kann. Entschieden habe ich mich dann für Südtirol, einen ganz besonderen Landstrich Italiens und ein ganz besonderes Buch, das in der Zeit des Ersten Weltkriegs ebendort spielt.

Von Höhenangst keine Spur

Vor etwa einem Jahr war ich zum ersten Mal in Südtirol. Was für ein wunderschönes Stückchen Erde! Selbst ich, die Höhenangst hat, konnte den Bergen nicht widerstehen und beim Aufstieg konnte es schon mal passieren, dass ich vor lauter Ablenkung gar nicht merkte, wie hoch ich tatsächlich war. Nur die Fahrt über den Jaufenpass war für mich tatsächlich ein kleiner Horrortrip, den der Rest der Familie jauchzend genoss, während ich mich am Türgriff festklammerte und nicht wusste, ob ich die Augen besser offen oder geschlossen halten sollte.
Noch spannender allerdings war für mich die jüngere Geschichte Südtirols, mit der ich zum ersten Mal in Berührung kam. Auf unseren Wanderungen erzählte der Bergführer von Repressalien, die den Südtirolern durch die italienische Regierung auferlegt wurden. Von geheimen Schulen in Scheunen, in denen heimlich Deutsch gelehrt wurde, von Bombenanschlägen und ehemaligen Widerstandskämpfern im Exil, die auch heute nicht in ihrer Heimat bestattet werden dürfen, da die Regierung befürchtet, mit den Grabmalen Märtyrerdenkmale zu setzen. Doch wie kam es eigentlich dazu, dass dieser Teil der Alpen, in dem die Menschen vorwiegend Deutsch und Ladinisch sprechen, zu Italien gehört?

“Ein Tal in Licht und Schatten”

Cover (c) Knaur VerlagPassenderweise erschien zu diesem Zeitpunkt ein Roman, der mir auf unterhaltsame und bewegende Weise ein Stück der Geschichte Südtirols näher brachte. In “Ein Tal aus Licht und Schatten” erzählt Marie Buchinger die Geschichte von Elisa und Vito aus dem Gadertal zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Elisa, die unter Brüdern aufwächst, ist ein kleiner Wildfang, der sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt und genau weiß, was er will. Vito, der aus Italien mit seiner Familie zugezogen ist, hat Träume, die sich mit dem harten Leben in den Bergen nicht vereinbaren lassen. Elisa und ihr Bruder Mischi helfen ihm, sich einzugewöhnen und lehren ihn die Liebe zu den Bergen. Doch alles wird anders als der Erste Weltkrieg ausbricht. Elisas Brüder müssen an die Front und als dann auch noch Italien in den Krieg eintritt, steht die Front unversehens vor der eigenen Haustür. Vito muss sich entscheiden, auf welcher Seite er kämpfen will. Am Ende des Krieges wird Südtirol nie wieder so sein wie zuvor.

Mich hat das Buch sehr beeindruckt. Nicht nur, dass eine spannende und zugleich anrührende Geschichte erzählt wird, auch die Hintergründe um das Zeitgeschehen fand ich höchst interessant. Die vollständige Rezension zu dem Buch findet Ihr auch auf diesem Blog.

Interview mit Marie Buchinger

Unsere italienische Blogtour hat nun wieder die Erinnerungen an “Ein Tal in Licht und Schatten” geweckt und ich habe endlich einmal die Möglichkeit genutzt, Marie Buchinger genauer zu befragen. Ich freue mich sehr, dass sie sich die Zeit genommen hat, in einem Interview meine Fragen zu beantworten.

Copyright © Norman Guy

Der Erste Weltkrieg, so wie er in den Bergen stattgefunden hat, mit den hohen Gefechtsstellungen, war ja schon etwas Besonderes. War das ein Anlass ausgerechnet über diese Zeit zu schreiben?

Definitiv! Wer in dieser Gegend wandert, kennt das: Es gibt alte Stellungen, in die man hineinkriechen kann, Laufgänge, die alten Kaiserjägersteige, auf denen wir heute wandern. Die Kriegsgegner haben versucht, die Berge wegzusprengen, und so mancher Felsformation sieht man ihre Wunden an. Dann fange ich an, Fragen zu stellen.

Was hat dich daran gereizt, dein Buch im Gadertal spielen zu lassen? Spielte dabei das Ladinische als besondere Sprache eine Rolle?

Ganz banal gesagt kenne ich das Gadertal am besten. Ich bin über die Teilnahme am Radmarathon „Maratona dles dolomites“, der jährlich Anfang Juli stattfindet, dorthin hingekommen. Aber schon bei unserem ersten Besuch habe ich mich in die Gegend verliebt, und das ist geblieben.

Wieder war da meine unverbesserliche Neugier: In Gadertal wird nicht nur zweisprachig (italienisch und deutsch), sondern dreisprachig (zusätzlich ladinisch) ausgeschildert. Warum? Bei der Beantwortung dieser Frage habe ich dann den Sagenschatz entdeckt, mit dem das Ladinische aufwartet. In einer Zeit, in der alte Erzählungen höchst unpopulär waren, hat der Südtiroler Karl-Felix Wolff ladinische Sagen gesammelt und so der Nachwelt erhalten.
Nun ist die Laurín-Sage vom Rosengarten in Bozen gut bekannt, das Fanes-Lied um die Prinzessin Dolasíla kennen dagegen wenige, dabei begegnet es einem im Gadertal an jeder Ecke. Vielleicht schreibe ich eines Tages noch eine fantastische Roman-Adaption dieser Sage, sie ist einfach zu schön!

In „Ein Tal in Licht und Schatten“ habe ich das Fanes-Lied als „Erbe“ der ladinischen Familie Kastlunger einfließen lassen. Mag sein, dass Elisas rebellischer Charakter an die Prinzessin (besser gesagt: meine Vorstellung von ihr) angelehnt ist – und Vito erscheint Dolasíla in einer Vision, in der sie das Sterben der Berge symbolisiert, während er der Zerstörung hilflos im Schützengraben zugucken muss.

Copyright © Diana Menschig

Als ich in Südtirol war, habe ich ein Plakat gesehen, auf dem stand “Südtirol ist nicht Italien!” Vito weiß ja zunächst nicht so recht, für wen er Stellung beziehen soll. Hast Du Menschen in Südtirol getroffen, denen es vielleicht ähnlich geht?

Das möchte ich ganz strikt trennen! So wie Vito ging es 1915 ganz sicher vielen Bewohnern der Region, wenn auch nicht ganz so extrem. Anfang des 20. Jahrhunderts begann der Tourismus, die Berge waren ein Ort internationaler Begegnungen. Die Menschen kamen aus aller Welt, um auf die Gipfel der Dolomiten zu steigen. Es gibt unzählige Geschichten über Verbrüderungen zwischen Italienern und Österreichern und dennoch mussten sie aufeinander schießen – wobei da sicherlich auch einiges romantisiert wurde, denn der Gebirgskrieg war kein Krieg Mann gegen Mann, auch hier war die Technik auf dem Stand der Zeit.

Heute? Ach, die „Südtirolfrage“. Wenn Südtirol nicht Italien ist, was ist es dann? Ich habe solche Plakate während meiner Teilnahme am „Ötztaler Radmarathon“ auch gesehen, und ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Tatsächlich ist mir niemals ein Südtiroler begegnet, der solche Plakate gut findet, im Gegenteil.
Keine Frage: Südtirol nach dem Großen Krieg Italien anzugliedern, ist aus heutiger Sicht völkerrechtlich mindestens bedenklich (ich denke: es war falsch). Aber inzwischen sind wir fast 100 Jahre weiter. Ich finde, wir sollten uns in Europa zusammenfinden. In Nationalstaaten zu denken, empfinde ich als nicht mehr zeitgemäß. Italien ist mindestens ein so heterogenes und künstliches Gebilde wie Deutschland, anders gesagt: Ein Sizilianer hat mit einem Südtiroler wenig gemeinsam, aber das habe ich als Niederrheinerin mit einer Sächsin auch nicht. Trotzdem werden wir in ein und dieselbe Länderschublade sortiert. Und einige Unverbesserliche finden das toll, nationales Denken hat ja leider zur Zeit Konjunktur.

Wenn man sich aber ernsthaft fragt, was das Zugehörigkeits- und Identitätsgefühl ausmacht: Ist es nicht eine Region, in der man lebt, ein ziemlich kleiner Ausschnitt des Staates, in dem man lebt? Dazu die Menschen, die einem wichtig sind?

So oder so: Sich zu wünschen, dass es wieder so wird, wie es einmal war, ist fatal, denn zum einen wird es nie wieder so sein und zum andern kann man sich nicht die Rosinen rauspicken. Wir neigen dazu, Erinnerungen zu verklären: „Früher war alles besser“ ist meistens falsch. Früher war es anders.

rekonstruierte Laufgräben im Freilichtmuseum am Passo Valparola © Diana Menschig

Wie lange hast Du eigentlich an dem Buch geschrieben? Es ist ja recht umfangreich und lässt inhaltlich auf sehr gute Recherchearbeit schließen.

Das Schreiben selbst ging recht schnell, aber bis die Idee als solche in meinem Kopf fertig war, sind ungefähr sechs bis acht Jahre vergangen. Es war ein eher schleichender Prozess, der 2006 beim ersten Besuch im Gadertal begonnen hat. Jedes Jahr kam ein neues Mosaik-Steinchen dazu. Außerdem habe ich lange damit gehadert, über eine Region und ein Ereignis zu schreiben, an dem ich keinen Anteil habe. Ich bin keine Südtirolerin, ich kenne Berge nur aus dem Urlaub. Insofern fand ich es lange anmaßend – genau wie ich lange Zeit ungern zur „Südtirolfrage“ Stellung beziehen wollte.

Die intensive Recherche war notwendig, um mir die Sicherheit zu geben, dass ich darüber schreiben kann, so „realistisch“ wie möglich. Aber letzten Endes schreibe ich Fiktion: Der Anspruch darf niemals sein, dass es so gewesen ist.

Du hast mir bereits verraten, dass dein nächster Roman wieder in Italien spielen wird. Darfst du darüber etwas erzählen?

Das aktuelle Projekt hat sich aus der Recherche zu „Ein Tal in Licht und Schatten“ ergeben. Dem Großen Krieg gingen unter anderem die italienischen Einigungskriege voraus, in denen die Lombardei (1859) und das Veneto (1866) von Österreich an Italien fielen. In der Gegend um Solferino und San Martino nahe dem Gardasee fanden 1859 grausame Schlachten statt, in deren Folge das Rote Kreuz gegründet wurde, ursprünglich, um eine neutrale Versorgung der Verwundeten auf dem Schlachtfeld zu gewährleisten. Die Geschichte wird aus Sicht von Giovanni (Giò) Martini, einem einfach gebildeten Gastwirtssohn aus Malcesine und Magdalena di Lucca, Tochter eines wohlhabenden venezianischen Kaufmanns erzählt.

Es gibt einige Parallelen, aber auch ganz wesentliche Unterschiede. Vito hat 1915 im Gadertal die Waffen mit großen Bedenken, aber letzten Endes freiwillig in die Hand genommen. Giò wird 1859 per Wehrpflicht gezwungen, für eine Sache zu kämpfen, die er nicht versteht. Und er zieht ganz andere Konsequenzen. Elisa kämpft ihrerseits um Haus und Hof ihrer Familie, während Magdalena gleich zu Beginn nur noch wenig zu verlieren hat.

Vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten und die tollen Bilder! Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich bin schon gespannt auf dein nächstes Buch und freue mich schon darauf, wieder einmal in Gedanken nach Italien reisen zu können.

Wenn Ihr nun Lust habt, noch ein wenig in Italien zu verweilen, dann besucht die anderen Beiträge der Blogtour. Der nächste erscheint bereits nächsten Freitag.

Daten zum BuchCover (c) Knaur Verlag

Marie Buchinger: Ein Tal in Licht und Schatten
Broschiert: 656 Seiten
Verlag: Knaur TB (1. August 2016)
ISBN-10: 3426517558
ISBN-13: 978-3426517550
Preis: € 14,99 [D]
Kaufen und kostenlos liefern lassen:
Buchhandlung Graff (Affiliate)

12 Kommentare

  1. Liebe Mona,

    das liest sich ja großartig. Das Buch muss ich mir besorgen. Vielen Dank für die Vorstellung dieses Buches und auch der Nachfolger verspricht ja interessant zu werden.

    Viele Grüße

    Andrea

  2. Liebe Mona,
    was für ein schöner Beitrag mit einem interessanten Interview. Über die Probleme Südtirols mit der Zugehrigkeit zu Italien habe ich schon gelesen, so etwas ist nie leicht. Doch die neuen Generationen kennen es nicht anders!
    Die Autorin finde ich auch serh spannend. Ich habe sehr viel Respekt vor ihr. Mei Mann ist den Ötztaler (einer der Berge dabei ist übrigens dein geliebter Jaufenpass) schon mehrmals mitgefahren. Dafür muss man schon sehr hart sein! Wir sind mit dem Auto dieses jahr wieder durch Südtirol gefahren und müssen dort unbedingt bald Urlaub machen.
    Wie schön, dass du die Blogtour bereichert hast.
    Liebe Grüße
    Silvia

    1. Diese Blogtour ist eine ganz tolle Sache und ich freue mich sehr dabei sein zu können. Da sind so tolle Beiträge entstanden!
      Mir ringen übrigens schon Radfahrer in den Mittelgebirgen einigen Respekt ab, das ist echt Wahnsinn. 😀
      Nach Südtirol möchte ich auch unbedingt mal wieder. Das war ein richtig toller Urlaub mit sehr hohem Erholungswert.

      Liebe Grüße,
      Mona

  3. Hallo Mona,
    was ein toller Beitrag. Geschichten über oder zu Zeiten eines Krieges lassen mich ja meist nicht kalt und ich muss sagen das ich zum Thema 1.WK erst sehr wenig gelesen habe. Es ist kaum vorstellbar wie Kampfhandlungen gerade in diesem Landstrich vonstatten gingen und vor allem wie die Menschen dort lebten und welche Konsequenzen alles für Sie hatte. Das Buch muss ich mir echt mal genauer ansehen.
    In Tirol war ich noch nie, unser Reiseziel war meist Oberösterreich. Zwar liebe ich die See aber Berge haben was faszinierendes für mich. Meine Höhenangst macht es mir aber fast unmöglich zu klettern oder gar diese Brücken oder Lifte, da bekomme ich beim daran denken schon Schnappatmung 🙂
    Wünsche dir einen tollen Tag, das Wochenende naht
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Ja, schau dir das Buch mal an. Ich hab es inzwischen auch schon mehrfach verschenkt. Ich würde übrigens auch nicht über Brücken oder diese Kletterstege gehen. Da ginge es bei mir weder vorwärts noch zurück. Im Harz gibt es eine neue Hängebrücke. Ich hab schon gesagt, dass wir gern hinfahrne können und ich warte da mit einem Buch bis sie fertig sind mit Gucken und Drüberlaufen. Lifte fahre ich auch nicht. Seilbahn (ohne Glasboden) geht mit Hängen und Würgen, wenn ich immer bergauf gucke. Echt bescheuert, wie sehr das einschränkt. Dabei habe ich früher keinen Baum und keinen Hochsitz ausgelassen. Kam dann mit der Pubertät. Plötzlich saß ich auf dem Baum und kriegte Panik. 😀
      Die Berge mag ich trotzdem gern.

      Liebe Grüße,
      Mona

  4. Hat dies auf litblogkoeb rebloggt und kommentierte:

    Ein Tal in Licht und Schatten / Marie Buchinger ; ein schöner Lektüretipp auf der #BlogtourBellaItalia

  5. Das merke ich mir. Ich war vor einigen Jahren in Slowenien, genauer in Bovec, und dort ist ein Gedenk-Wanderpfad eingerichtet. Es haben sich dort sehr viele Partisanen in Höhlen versteckt und die Schützengräben gibt es heute noch … merkwürdiges Gefühl, in so nem Ding zu stehen. LG, Bri

    1. Das klingt interessant! Ich merke immer wieder, wie wenig ich doch weiß, dabei ist Geschichte so spannend. Mit Slowenien habe ich mich noch nie beschäftigt.

      Liebe Grüße,
      Mona

      1. Slowenien ist ein tolles Land. Wunderbare Gegend, freundliche Menschen, gute Küche – ein bißchen geprägt von der Österreichischen. Und äußerst Geschichtsträchtig. Ich kann es nur empfehlen, dort mal hinzufahren. Wir wollen auch wieder 😉 LG, Bri

  6. Interessant. Ich bin im Moment ein bisschen auf der Suche nach guten Büchern, die über den ersten Weltkrieg berichten bzw. während dieser Zeit spielen.
    LG
    Verena

  7. Pingback: Bloparade durch Italien: Blogtour Bella Italia | Lovely Mix

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