Dirk Kurbjuweit: Angst [Rezension]
“Wir sind, gerade in langen Beziehungen, nicht mit dem Menschen zusammen, den es wirklich gibt, sondern mit dem Menschen, den wir uns in unserem Kopf erschaffen, vor allem durch die Auswahl unserer Erinnerungen.” (s. 182)
Das saturierte Leben von Randolph Tiefenthaler scheint mit dem Kauf der schönen Berliner Altbauwohnung seine Erfüllung zu finden. Der Architekt und seine Familie ahnen nichts Böses, als der schrullige Herr Tiberius ihnen Kuchen vor die Tür stellt. Doch bald wird der Nachbar aus dem Souterrain unheimlich. Er beobachtet Tiefenthalers Frau, schreibt erst verliebte, dann verleumderische Briefe, erstattet sogar Anzeige. Die Ehe stürzt in eine Krise, das bloße Dasein des Nachbarn vergiftet den Alltag. Tiefenthaler vertraut lange auf den Rechtsstaat, der aber zeigt sich hilflos gegenüber dem Stalker. Die zerstörte Sicherheit erschüttert Tiefenthaler im Innersten. Denn er kennt die Angst schon lange. Sein eigener Vater ist ein Waffennarr, als Kind musste Randolph schießen lernen und fürchtete stets das Schlimmste. Vater und Sohn sind sich seit Jahren fremd – doch nun bringt die unerträgliche Situation Randolph auf einen entsetzlichen Gedanken … (Klappentext “Angst”, Rowohlt Verlag 2013)
Als in meinem “Buchschätzer”-Lesekreis das neue Buch von Dirk Kurbjuweit “Angst” vorgeschlagen wurde, war ich zunächst sehr skeptisch, da ich gleich an einen grausamen Psychothriller dachte. Allein das Cover fand ich nicht besonders ansprechend und der Titel ließ mich Schlimmeres erwarten.
Doch schon auf den ersten Seiten wurde ich positiv überrascht und das Buch zog mich schnell in seinen Bann. Randolph Tiefenthaler besucht seinen Vater im Gefängnis, denn dieser hat einen Mord begangen. Schnell wird klar, dass dieser Umstand zu einer Annäherung zwischen den beiden geführt hat. In Rückblenden wird das Vater-Sohn-Verhältnis beleuchtet, das immerwährend von Angst durchdrungen war und das Randolphs Umgang mit Ängsten entscheidend geprägt hat. Dieses zentrale Thema wird ergänzt um die Auseinandersetzung mit dem Thema Stalking und Selbstjustiz, geprägt von Hilflosigkeit und einem versagenden Rechtssystem, dass es nicht schafft, Opfer von Stalking zu schützen. Ein weiterer Aspekt ist die Beziehung zwischen Randolph und seiner Frau, die unter der Belastung zu zerbrechen droht und das Ehepaar dazu zwingt, Farbe zu bekennen und Wünsche und Erwartungen neu zu bezeichnen.
Berichtartig, nüchtern und doch packend beschreibt Kurbjuweit, wie weit Menschen getrieben werden können und wie leicht man sich selbst verlieren kann. In der Diskussionsrunde im Lesekreis stellten wir fest, dass wir teilweise doch sehr unterschiedliche Schwerpunkte in dem Buch gesehen hatten. Für den einen überwog der Vater-Sohn-Konflikt, ein anderer gewichtete eher die Beziehung zwischen Randolph und Rebekka. Auch die Auseinandersetzung mit den Handlunsgmöglichkeiten unseres Rechtssystems blieb nicht aus, auch wenn es inzwischen das “Anti-Stalking-Gesetz” gibt.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass Titel und Cover bestens zu diesem vielschichtigen Buch passen: Angst, Angst und nochmal Angst, das Leben der Protagonisten ist davon geprägt – in vielen Facetten.
© Tintenelfe
Dirk Kurbjuweit: Angst
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Rowohlt Berlin 2013
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3871347299
ISBN-13: 978-3871347290
Preis: 18.95
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Das Buch befindet sich schon in meinem Besitz und ich freue mich sehr auf die Lektüre! Deine Eindrücke versprechen ein spannendes und vielfältiges Buch und ich bin gespannt, wie es mir gefallen wird. 🙂
Ein Buch, zu dem ich freiwillig nicht gegriffen hätte und bei dem es sich mal wieder auszahlt, in einem Lesekreis zu sein. Das Tolle daran ist ja, immer wieder auch mal über den Tellerrand zu schauen und die “Buchschätzer” haben mir schon viele lesenswerte Bücher nahe gebracht. Ich bin gespannt, wie es Dir gefallen wird und wo Du den Schwerpunkt siehst.
Liebe Grüße von der Tintenelfe
Vielen Dank für den Tipp, ich habe es mal auf meine Wunschliste geschrieben. Mich hätte das Cover auch erstmal abgeschreckt 😉
LG
Nina
Dein Link “in einer Buchhandlung kaufen” funktioniert nicht. Hier ist – wenn Du magst – der Link zu Graff (die ersten 19 Seiten als Leseprobe gibt es da auch):
Zum E-Book-Download ist es dieser Link:
Liebe Grüße vom Monsignore