Tintenhain – Der Buchblog

Jochen Schmidt: Schneckenmühle. Langsame Runde [Rezension]

Im Sommer 1989 war ich dreizehneinhalb, also fast genauso alt wie Jens, der Protagonist aus “Schneckenmühle”. Das hat mich neugierig auf dieses Buch gemacht. Nachdem ich von Büchern wie „Zonenkinder“ und „Meine freie deutsche Jugend“ immer enttäuscht wurde, erhoffte ich mir mit „Schneckenmühle“ ein Buch, das sich eher mit meinen eigenen Kindheitserinnerungen und DDR-Erfahrungen decken würde. In der Kindheit und zu Beginn der Pubertät hat man in der Regel einen anderen Erfahrungshorizont als Erwachsene, die sich ganz anders mit einem politischen System auseinandersetzen.

Cover
Jens ist 14 geworden und darf zum letzten Mal ins sächsische Ferienlager Schneckenmühle fahren, dort kann man Skat spielen, Fußball und Tischtennis, muss allerdings auch auf Wanderungen gehen, in den Zoo oder nach Dresden fahren, und vor allem sind da die endlosen Nächte mit Quatsch und Gesprächen über Mädchen. Nur Tanzen in der abendlichen Disko, das kommt nicht infrage, zum Tanzen ist Jens zu schüchtern. Nach einem Ausflug wird Jens krank und kommt auf die Krankenstation. Da taucht Peggy bei ihm auf, die von der Gruppe gehänselt wird, und bittet ihn, ihr Essen zu bringen, sie würde sich von nun an verstecken. Aber dann wird sie im Lager vermisst und die Polizei wird eingeschaltet. Die Sache spitzt sich zu, auch zwischen Jens und Peggy.
Es ist der Sommer 1989 in der DDR – und nicht nur den Jugendlichen stehen große Veränderungen bevor. (Klappentext, “Schneckenmühle”  Beck Verlag 2013)

Jens‘ Familie ist christlich, sie hat Verwandtschaftsbeziehungen in den Westen und er wächst daher nicht ganz unkritisch auf, schnappt immer wieder mal etwas bei den Erwachsenen auf. Seine Fahrt ins Ferienlager „Schneckenmühle“ beschreibt den Ferienalltag vieler Kinder in der DDR. Die Anzeichen des politischen Umbruchs werden zwar gezeigt, kommen aber in der Lebensrealität der Kinder nicht an. Es spricht auch kaum jemand darüber und wenn, weiß man auch nicht, was man davon halten soll. Daher verwundert es auch kaum, dass das Thema Republikflucht immer ein Randthema bleibt. Angesprochen, sofort wieder von Alltag abgelenkt und hier und da wieder aufblitzend. Auf mich machte das einen sehr realistischen Eindruck, anders habe ich es auch nicht erlebt.
Das Buch liest sich wie eine lose Aneinanderreihung von Erlebnissen und Erinnerungen, durchsetzt von zeittypischen Redensarten und Songs, Namen von DDR-Produkten. Besonders zu Beginn wird Vieles episodenhaft angerissen und sofort wieder fallengelassen. Ein roter Handlungsfaden ist kaum zu erkennen. Mein erster Gedanke war: „Der  Autor hat sich mit seinen Kumpels zusammengesetzt und ein Brainstorming gemacht, was alles in so ein DDR-Buch rein muss. Danach wurde die Liste einfach abgearbeitet.“ Der Eindruck hält sich leider durchgehend, erst zum Ende hin nimmt die Handlung an Zusammenhang und Tempo zu.
Der Erzählstil ist sprunghaft, die Sätze kurz, manchmal wie abgebrochen, genauso wenig zu Ende gebracht wie die absatzweisen Einblicke in den Alltag. Trotzdem ist das Buch leicht zu lesen und die Aneinanderreihung hat auch den Effekt, dass man doch noch schnell den nächsten Absatz lesen möchte, um zu sehen, welche Erinnerung dieser wohl bereithält.
„Schneckenmühle“ ist für mich ein Roman, der meine eigenen Erinnerungen wieder wachgerufen hat. Vieles aus dem Ferienlageralltag habe ich genau so erlebt und in Gedanken befand ich mich nicht in „Schneckenmühle“, sondern auf der „Rauschenburg“, meinem Ferienlager, in das ich noch bis 1990 sehr gern gefahren bin. Witzig fand ich, dass Jens genau wie ich ein Sprüchebuch hatte. In meinem fanden sich auch die Liedtexte zu typischen Ferienlagerliedern wieder, die auch die Mädchen in „Schneckenmühle“ sangen. Als kleine Zeitreise hat mir das Buch sehr gut gefallen, ich werde es noch einmal lesen, um meine eigenen Anmerkungen dran zuschreiben. Als Roman, sowohl von der Geschichte her als auch vom Erzählstil gefällt mir das Buch allerdings sehr wenig.
© Tintenelfe

3 TintenfaesschenJochen Schmidt: Schneckenmühle. Langsame Runde

Cover
Gebundene Ausgabe: 220 Seiten
Verlag: Beck; Auflage: 1 (12. Februar 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3406646980
ISBN-13: 978-3406646980
Preis: 17,95
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4 Kommentare

  1. Ich glaube, die Meinung zu jedem Buch, das wir lesen, ist gefärbt davon, was wir selbst erlebt haben.
    Darum bedanke ich mich für den Einblick in deine Jugendzeit 🙂

    1. Ja, das stimmt und trifft auf dieses Buch ganz besonders zu. Es fiel auch auch schwer, das Buch an sich (Schreibstil, Handlung etc) zu trennen von dem, was mich persönlich berührt und erinnert. Allein für das, was es an persönlichen Erinnerungen ausgelöst und zurückgebracht hat, hätte ich eigentlich mehr Tintenfässchen vergeben müssen. Aber ein Buch besteht nicht nur aus dem Bezug zu meinen Erlebnissen.

  2. Ich habe das Buch kürzlich in der Bibliothek gesehen und ein wenig drin herumgelesen, aber es war mir zu nichtssagend. Als Schweizerin ist mir die DDR ähnlich fremd wie der Mond, insofern kann ich mit den ganzen Remineszenzen nichts anfangen, meist würde ich sie wohl nicht einmal erkennen. Und die Story selbst schien mir eher belanglos…

    1. Ich fände es ganz interessant, wie jemand, der mit der DDR nichts anfangen kann, das Buch findet. Du hast auf jeden Fall Recht, die Story ist belanglos bis kaum zu finden. Für mich hat das Buch eher den Wert eines Erinnerungsalbums. Literarisch gesehen kann man es eher vergessen.

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