Tintenhain – Der Buchblog

Carmen Korn: Töchter einer neuen Zeit (1) [Rezension]

Töchter einer neuen Zeit Korn
Cover © Kindler Verlag

Vier Frauen, Zwei Weltkriege, Hundert Jahre Deutschland
Einer neuen – einer friedlichen – Generation auf die Welt helfen, das ist Henny Godhusens Plan, als sie im Frühjahr 1919 die Hebammenausbildung an der Hamburger Frauenklinik Finkenau beginnt. Gerade einmal neunzehn Jahre ist sie alt, doch hinter ihr liegt bereits ein Weltkrieg. Jetzt herrscht endlich Frieden, und Henny verspürt eine große Sehnsucht nach Leben.
Drei Frauen begleiten sie auf ihrem Weg: Ida wohnt in einem der herrschaftlichen Häuser am Hofweg und weiß nicht viel von der Welt jenseits der Beletage. Hennys Kollegin Käthe dagegen stammt aus einfachen Verhältnissen und unterstützt die Kommunisten. Und Lina führt als alleinstehende Lehrerin ein unkonventionelles Leben. Die vier Frauen teilen Höhen und Tiefen miteinander, persönliche Schicksalsschläge und die Verwerfungen der Weltpolitik, vor allem der Aufstieg der Nationalsozialisten und der drohende Zweite Weltkrieg, erschüttern immer wieder die Suche nach dem kleinen Glück. (Klappentext Töchter einer neuen Zeit © Kindler)

Der Erste Weltkrieg ist vorbei. Väter, Brüder, Söhne, Ehemänner sind nicht zurückgekehrt und hinterlassen leere Plätze in den Familien. Doch es ist Zeit in die Zukunft und hoffentlich friedliche Zeiten zu schauen. Henny Godhusen ist 19 Jahre alt als sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin Käthe die Ausbildung zur Hebamme an der Finkenau in Hamburg beginnt. Die beiden Frauen stammen aus ähnlichen Verhältnissen, doch Hennys im Krieg verwitwete Mutter hält was auf sich und ihre Familie und schaut eher herablassend auf Käthes Arbeiterfamilie, in der die Mutter als Putzfrau das Brot verdient und der bei einem Arbeitsunfall versehrte Vater das Geld zur Kneipe trägt. Doch Henny lässt sich davon nicht beirren und hält stets zur Freundin, auch als diese sich immer mehr den Kommunisten und ihren Ideen zuwendet. Die gleichaltrige Ida hingegen lebt in herrschaftlichen  Verhältnissen und kann sich nichts Schlimmeres vorstellen als ihren Lebensstandart zu verlieren. So muss sie sich eines Tages zwischen ihrer großen, unstandesgemäßen Liebe und einem Leben in Annehmlichkeit entscheiden. Lina indessen, deren größter Traum es ist, als Lehrerin reformpädagogische Ideen zum Vormarsch zu verhelfen, kümmert sich rührend um ihren Bruder Lud, dem einzigen Familienmitglied, das ihr nach der Hungersnot im Ersten Weltkrieg verblieben ist.

Über mehr als zwanzig Jahre begleitet der Leser die vier jungen Frauen durch die Weimarer Republik und das Dritte Reich, erlebt mit ihnen Höhen und Tiefen, Momente voller Liebe und Glück, Schicksalsschläge und persönliches Leid. Der Glanz der Zwanziger Jahre, die Weltwirtschaftskrise und die aufstrebenden Nationalsozialisten werfen ihre Schlaglichter auf das Leben der Menschen auf der Suche nach dem häuslichen Glück.

Der erste Teil der sogenannten Jahrhundert-Trilogie “Töchter einer neuen Zeit” beleuchtet die Zeit von 1919 bis 1947 und begleitet nicht nur die vier jungen Frauen auf ihrem Lebensweg, sondern auch eine Reihe von Nebenfiguren, von denen einige im Verlaufe des Romans an Bedeutung zunehmen. Carmen Korn hat für ihren Blick in die deutsche Vergangenheit sehr verschiedene Persönlichkeiten gewählt, um viele Facetten der Zeit darzustellen. So gibt es Frauen, die einen Beruf ergreifen und sich unabhängig machen, eine Kommunistin, eine Frau, die eine homosexuelle Beziehung eingeht, den Oppertunisten an der Seite der Nazis, den Geschäftsmann, der alles verliert und eine jüdische Familie, um deren Leben man schon bald zu bangen beginnt. Dadurch gelingt es Carmen Korn einen umfassenden Blick auf die Zeit zu werfen, politische und gesellschaftliche Strömungen und Veränderungen immer im Hinblick auf ihre Romanfiguren zu beleuchten. Es gibt sowohl Kleingeister als auch großartige Menschen, die das Herz berühren. Die Rolle der Frau verändert sich zu dieser Zeit und man erlebt, wie sich auch Frauen neue Möglichkeiten auftun und gleichzeitig wie immer wieder versucht wird, die zugleich zurückzunehmen. Sehr schön ist das am Frauenwahlrecht oder der Lebensführung einer Lehrerin sowie der Möglichkeit von Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu sehen. Auch das zunehmende Verwischen von Klassenunterschieden wird deutlich.

Mit den ausgereiften, sehr authentischen Figuren und der Ansiedlung der Handlung in Hamburg gelingt der Autorin ein sehr lebendiges Bild der Zeit zu zeichnen. Mit schnelle Szenenwechseln zwischen den verschiedenen Akteurinnen und meist kurzen Sätzen wird die Handlung vorangetrieben. Zeitweise entstehen einem Zeitraffer gleich größere Sprünge zwischen den Jahren, die zwar ein ausführliches Begleiten der Figuren verhindern, jedoch sicher der großen Zeitspanne von mehr als zwanzig Jahren geschuldet sind. So kommt es zum Beispiel vor, dass jemand plötzlich ein Kind hat, weil ein, zwei Jahre in der Erzählung ausgelassen wurden. Vermisst habe ich an dieser Stelle vor allem den Hungerwinter nach dem Zweiten Weltkrieg, der hier in zwei Sätzen abgehandelt wurde.
Carmen Korn schreibt sehr angenehm, manchmal eher nüchtern und distanziert, jedoch immer sprachlich ausgereift. Zum Teil setzt sie Sprache ein, um Klassenunterschiede deutlich zu machen, wenn zum Beispiel Käthes Vater im Hamburger Dialekt spricht oder die Ausdrucksweise von Idas Mutter französisch angehaucht ist. Durch den Zeitraffer und die vielen Figuren, die alle ihre Aufmerksamkeit fordern, bleibt wenig Zeit sich mit den Figuren zu identifizieren oder gar emotional zu werden. Einzelne Szenen haben mich zwar sehr berührt, doch ist es ausgerechnet eine männliche Nebenfigur, die mich sehr beeindruckt und tief bewegt hat.

Es ist ein großer Balanceakt, den Carmen Korn gekonnt vollführt, wenn sie mit einer Fülle von Lebensgeschichten und Verwicklungen über einen derart langen Zeitraum erzählt. Mich hat das Buch sehr gefesselt und vor allem war ich von der Zeit fasziniert, die durch die Verortung in Hamburg einen intensiven Blick bekommt. Den Stadtplan am Ende des Buches habe ich leider erst nach der Lektüre entdeckt, ebenso wie das Glossar.

Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung, auch wenn ich befürchte, den historisch spannendsten Teil bereits hinter mir zu lassen. Durch die große Anzahl der Charaktere könnte ich mir vorstellen, dass ein Einstieg insbesondere nach einer Pause in den zweiten Teil erschwert wird.

© Tintenhain


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1. Töchter einer neuen Zeit (2016)
2. Zeiten des Aufbruchs (2017) – Rezension
3. Zeitenwende (2018) – Rezension


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Trilogie, Band 1
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
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Töchter einer neuen Zeit Korn
Cover © Kindler Verlag

15 Kommentare

    1. Schau es dir auf jeden Fall mal an. Ich habe gerade den zweiten Teil gelesen und bin immer noch begeistert. Man muss aber damit leben können, dass es ziemlich nüchtern geschrieben ist, also keine großen Gefühlsdramen und es gibt eben diesen Zeitraffer. Aber inhaltlich total spannend und interessant.

  1. Was für eine schöne, differenzierte Rezension, liebe Mona. Ich bin nun schon oft um diesen Titel herumgeschlichen und trotz dass ich mich inhaltlich sehr angesprochen fühle, habe ich Sorge, dass ich mich daran stoßen könnte, wenig Zeit zu haben, mich mit den Figuren anzufreunden bzw. sie nicht intensiv genug kennenzulernen, wie du auch schreibst.

    Ich werde ein bisschen in mich gehen und dann entscheiden :-).

    Liebe Grüße

    Anja

    1. Es sind sehr, sehr viele Figuren, die unterschiedlich intensiv behandelt werden. Mit manchen wird man vertraut, aber bei manchen fragt man sich auch “Wer war das nochmal?” Ich denke, eine so umfangreiche Trilogie zu schreiben ist nicht ganz einfach. Mit den vielen Charakteren kann sie viele Facetten beleuchten, allerdings bleiben es in der Regel Schlaglichter. Es bleibt nicht viel Zeit bei einzelenen ereignissen zu verweilen. Sie gibt mehr ein großes Gamtsamtbild ab und eine Stimmung der Zeit wieder.
      Am besten aus der Bücherei ausleihen und antesten. 😉

      Liebe Grüße,
      Mona

    1. Hallo Lisa,

      ich hab den jetzt dreimal bekommen. Wenn ich die Zeit finde, fasse ich sie gern mal zusammen. Mir fällt nur immer so schwer, eigene Fragen zu erfinden, auch wenn ich gern welche beantworte. 🙂

      Liebe Grüße,
      Mona

      1. Hallo Mona,

        Na bei 3 Nominierungen könntest du doch 5 Fragen von den anderen nehmen und diese an deine nominierten weitergeben. 🙂 Dann musst du nicht so viel beantworten und hast gleich Fragen parat!
        Lg, Lisa

  2. Habe diesen Blog gerade erst gefunden und gleich das erste Buch liegt schon in meinem Regal. Meine Mutter hat es mir ans Herz gelegt. Den 2. Band hatte sie sich zum Geburtstag gewünscht…also genug Futter auch für mich in der wanderarmen Winterzeit.

    1. Ich wünsche dir eine wunderbare Lesezeit mit dem Buch! Ich habe gerade den zweiten Teil beendet und bin wieder sehr begeistert. Ich hoffe, der 3. Band kommt bald raus. Deine Mutter möchte sicher auch schon wissen, wie es weiter geht, oder? 😀

      Liebe Grüße,
      Mona

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