Harlan Coben: Das Grab im Wald [Rezension]
Zwanzig Jahre nach dem Verschwinden seiner Schwester Camille im Wald eines Ferienlagers wird Staatsanwalt Paul Copeland zu einem Toten gerufen, von der Paul überzeugt ist, dass es sich um Gil Perez handelt, den Jugendlichen, der damals mit seiner Schwester spurlos verschwand und zwei weitere Jugendliche ermordet im Wald gefunden wurden. Was wirklich in jener Nacht passiert war, ist bis heute nicht geklärt. Paul beginnt in der Vergangenheit zu suchen und schon bald stellt er fest, dass er nicht der einzige ist, den die Ereignisse von damals wieder einholen. (Inhaltsangabe © Goldmann Verlag)
Es ist mal wieder ein dramatisches Ausgangsszenario, das Harlan Coben in seinem Thriller “Das Grab im Wald” dem Leser bietet. Bezirksstaatsanwalt Copeland wird mit den Geistern seiner Jugend konfrontiert, als er helfen soll, einen Toten zu identifizieren. Als sich herausstellt, dass es sich dabei um einen der Jugendlichen handelt, die vor zwanzig Jahren im Wald als ermordet galten, keimt der Wunschgedanke wieder auf, dass auch Camille, seine Schwester, noch am Leben sei.
Von der ersten Seite an war ich gefesselt, auch wenn das Tempo für einen Thriller vergleichsweise gemächlich ist. Coben entwickelt widersprüchliche Charaktere, bei denen man nie ganz sicher sein kann, ob sie lügen oder zumindest die Wahrheit verdrehen. Staatsanwalt Copeland als Ich-Erzähler vermag zwar seine Sicht und Erinnerungen genau darstellen, Zweifel bleiben dennoch, denn in einem weiteren Handlungsstrang bekommt seine damalige Freundin Lucy merkwürdige, anonyme Berichte, die jene Nacht im Wald wieder aufleben lassen.
So wirklich sympathisch kommt Paul Copeland auch als Staatsanwalt nicht daher. Zwar setzt er alles dafür ein, um einer jungen afroamerikanischen Striptänzerin, die von Studenten vergewaltigt wurde, zu ihrem Recht zu verhelfen. Gleichzeitig setzt er die Macht, die sich aus seiner Position ergibt, gern auch ein, um seine privaten Ermittlungen voranzutreiben. Dabei stellt er sich kein bisschen besser dar als die Väter der Jugendlichen, die versuchen, ihre Söhne freizupressen. Wesentlich geradliniger und charakterfester zeigt sich hingegen Chefermittlerin Muse, die mit ihrer rauen, hartnäckigen Art den Fall vorantreibt.
Der Thriller ist gekonnt konstruiert und spannend geschrieben. Was wirklich geschah, erfährt man ganz zum Schluss und auch darüber, ob Camille noch am Leben ist, wird man immer wieder ins Ungewisse gestoßen. Der Fall zeigt ungeahnte Wendungen auf, was einerseits einen gewissen Reiz ausmacht, andererseits keine eigenen Vermutungen zulässt.
Coben ist dabei erstaunlich vielschichtig, selbst Ereignisse der 40er Jahre in der Sowjetunion und den Jahren des Kalten Krieges spielen eine Rolle, wobei man an dieser Stelle keine Befürchtung hegen muss, dass das Ganze zum Spionagethriller ausartet. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass der Thriller zum Teil ohne langweilig zu werden in ruhigere Gewässer fährt, wenn Coben versucht seinen Figuren und ihrem Leben mehr Tiefe und Menschlichkeit zu verleihen. Ich mag auch seine Art, ganz nebenbei die amerikanische Gesellschaft aufs Korn zu nehmen und zu manchen Gedankenanstößen beizutragen. Insbesondere die Lebensweise der wohlsituierten Mittelschicht, ihrer Ansprüche und ihre Sichtweise auf andere werden immer wieder mal beleuchtet.
In meinen Augen ist “Das Grab im Wald” ein gelungener, vielschichtiger Thriller, der von Anfang an spannend ist und sich bei mir zum Pageturner gemausert hat.
© Tintenhain
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Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (20. April 2015)
Originaltitel: The Woods (2007)
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Gunnar Kwisinski
ISBN-10: 3442482666
ISBN-13: 978-3442482665
Preis: € 9,99 [D]
Bücherei
Huhu meine Liebe,
als du geschrieben hast, dass das Tempo etwas ruhiger ist, dachte ich noch: Oh oh. Aber die Charaktere machen echt neugierig 🙂
LG
Sonja
Hallo Sonja,
ich bin ja nicht so der Hardcore-Thriller-Fan. Ich habe es zum Beispiel lieber intelligent als eklig und blutig. Der Thrill muss aus der Geschichte kommen, nicht aus dem Beiwerk. Meine Freundin mag es lieber blutig, sie findet dann auch schon mal was langweilig, was ich spannend fand.
LG
Mona
Deine Rezension hat mich neugierig gemacht. Undurchsichtige Ereignisse und Personen sind etwas, das ich zu schätzen weiß. Ich glaube, dieser Thriller könnte mir daher gefallen.
Probier es aus. Ich habe Harlan Coben gerade erst für mich entdeckt. Das Tolle an seinen Büchern ist, dass es nicht eklig oder grausam wird. Klar, es werden Menschen ermordet und man ist auch nicht immer zimperlich miteinander, aber ich darf in der Regel selbst entscheiden, welche Bilder ich entstehen lasse. 🙂
Liebe Mona,
du schaffst es tatsächlich mir den Autor wieder näher zu bringen.
Danke für die tolle Rezension 🙂
Liebe Grüße
Ela
Daa freut mich, und ich bin sehr froh, dass ich ihn entdeckt habe. Ich finde die Bücher bisher sehr spannend und ich mag auch die Figuren und seine Art zu erzählen. Ich glaube, es ist manchmal schwer, wenn man schon sehr viele Thriller gelesen hat und dabei auch kein Problem hat, wenn Spannung durch Gewalt und Abartigkeiten erzeugt wird. Dann wird die Spannungsgrenze höher sein. Meine Freundin, die es sehr gern blutig und eklig mag, findet schon wieder einiges langweilig, was mich total fesseln kann. 🙂
Das kenn ich nur zu gut, ich mags ja auch nicht zu blutig oder auch zu ordinär.
Daher kann ich zum Beispiel absolut nichts mit R. Laymon anfangen und auch Jack Ketchum ist mir zu heftig.
Das hier gibts tatsächlich bei Audible, ich könnte also auch die Hörbuchversion wählen. Perfekt!
LG Ela