Ian McEwan: Am Strand [Rezension]
Das Schlimmste am Heiraten ist die Hochzeitsnacht. Zumindest für Edward und Florence, 1962 im prüden England. Begierde und Befangenheit, Anziehung und Angst sind miteinander im Widerstreit in der Hochzeitssuite mit Blick aufs Meer. Die Nacht verändert das Schicksal der Liebenden – für immer. (Inhaltsangabe © Diogenes)
Der Herbst steht vor der Tür und ich habe nun alle Sommerlesekreisbücher gelesen. „Am Strand“ von Ian McEwan habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben und war schon sehr gespannt, da ich bisher noch nichts von ihm kannte.
“Am Strand” erzählt die Geschichte einer Hochzeitsnacht in den frühen 1960er Jahren. Florence und Edward, gebildet und auf dem besten Wege zu einer beruflichen Karriere, sind verliebt und unerfahren, es wird ihr erstes Mal sein. Ganz unterschiedlich haben sie sich darauf vorbereitet, Florence mit einem Ratgeber, der ihren Widerwillen gegenüber allem Sexuellen noch verstärkt, Edward mit dem tagelangen Verzicht auf „Selbstverwöhnung“. Ganz langsam nähern sie einander an, Edward vorsichtig und zaghaft, Florence sich selbst überwindend, und steuern stetig auf einen Eklat zu, der über ihr weiteres Leben bestimmen wird.
In Rückblenden erfährt der Leser, wie sich die beiden Protagonisten kennengelernt haben, aus welchen Familienverhältnissen sie stammen und was sie geprägt hat. Nebenbei erzeugt Ian McEwan ein Gefühl für die Atmosphäre der frühen 60er Jahre, politische Turbulenzen und die empfundene „Schmach“ der Briten über den Verlust des Empires.
Mein erster Gedanke zu Beginn des Buches war: „200 Seiten über nur eine Nacht? Und dann auch noch nur dieses Hin und Her. Och nö!“, aber im zweiten Kapitel nahm mich das Buch dann gefangen und ich las es in einem Rutsch durch.
Nicht nur sprachlich ist „Am Strand“ ein Vergnügen, sondern auch bei der Beobachtung der Auswirkungen von Lebensumständen auf die Psyche. Es wird deutlich, wie Zufälle, aber auch verpasste Gelegenheiten und unausgesprochene Worte den Verlauf eines ganzen Lebens beeinflussen. Der Roman wechselt zwischen den Perspektiven von Florence und Edward, wird aber auch von der auktorialen (allwissenden) Autorensicht begleitet, die insbesondere bei der Zusammenfassung der weiteren Lebensjahre zum Schluss zum Tragen kommt. An dieser Stelle hätte mich dann auch das weitere Leben Florences interessiert, der Fokus liegt leider bei Edward.
Ich freue mich, dass dieses Buch ein Lesekreisbuch unseres Buchclubs geworden ist, sonst hätte ich es vielleicht nie in die Hand genommen. So bin ich um eine Leseerfahrung reicher und kann mir vorstellen, noch mehr von Ian McEwan, der meinen Recherchen zufolge wohl Ijän MäcJu‘en (die Aussprache Äijen gibt es wohl gar nicht) gesprochen wird, zu lesen.
© Tintenhain
Broschiert: 208 Seiten
Verlag: Diogenes (28. Oktober 2008)
Originaltitel: On Chesil Beach
Übersetzung aus dem Englischen: Bernhard Robben
ISBN-10: 325723788X
ISBN-13: 978-3257237887
Preis: € 10,00 [D]
Bücherei
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