René Anour: Im Schatten des Turms [Rezension]
Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt … Ein hervorragend recherchierter und extrem spannender Roman, der ein außergewöhnliches Stück Medizinhistorie vor der Kulisse weltgeschichtlicher Ereignisse erzählt.
Wien, 1787. Der Medizinstudent Alfred ist fasziniert vom sogenannten Narrenturm. Hier werden erstmals die Irrsinnigen behandelt, ein ganz neuer Zweig der Medizin. Doch die Zustände sind erbarmungswürdig. Und der Anblick einer jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen lässt ihn nicht los.
Die junge Adlige Helene war noch nie am Wiener Hof. Ihr Vater hält Schönbrunn für eine Schlangengrube und will seine Tochter möglichst lange von dort fernhalten. Doch er kann sie nicht beschützen.
Der Student, der zu viel sieht. Und die Adlige, die frei sein will. Zwei Menschen, ein Schicksal – das sich im Schatten des Turms entscheiden wird… (Inhaltsangabe © Rowohlt Verlag)
Saluti et solatio aegrorum. – Zum Heil und Trost den Kranken.
Der Medizinstudent Alfred Wagener ist entsetzt, als er bei einer Visite mit seiner Studentengruppe in den Narrenturm eingelassen wird. Der Narrenturm ist Königs Josephs Vorzeigeprojekt. Eine moderne, psychiatrische Heilanstalt soll der Narrenturm sein, ein Leuchtturm der modernen Medizin. Doch Alfred kommen Zweifel, als er eine kranke, stumme Frau untersucht. Ihr Zustand ist erbärmlich und es scheint ihm auch nicht einleuchtend, warum sie ans Bett gefesselt wird. “Die Irrenklinik ist die modernste Spitalseinrichtung der bekannten Welt! … Wir werden dort die ersten sein, die den Irrsinn heilen.”, verteidigt sich Rektor Quarin. Doch Alfred ist im Zweifel, ob der Narrenturm wirklich dem Wohle seiner Insassen dient oder vielmehr eine praktische Möglichkeit, die “Irren” aus dem Straßenbild verschwinden zu lassen.
“Wie heilt man etwas wie den Irrsinn?” Die junge Adlige Helene stellt Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Sie führt ein behütetes Leben, umsorgt von ihrem Vater, der die Vergnügungen bei Hofe für Zeitverschwendung hält und seine intelligente Tochter lieber in den Naturwissenschaften und im Schachspiel unterweist. So kommt es, dass der Medizinstudent Alfred auf Empfehlung seines Mentors Auenbrugger sein Einkommen als Hauslehrer der jungen Helene bestreiten darf. Zwei Menschen von höchst unterschiedlichem Stande, aber mit denselben Werten finden zueinander, und es ist ihnen klar, dass dies nicht geschehen darf.
Ich habe ja bereits in meiner Euphorie von dem Buch berichtet, da es mir den ganzen Tag einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte des Romans von René Anour simpel gestrickt. Ein armer Medizinstudent und eine junge Adlige verlieben sich ineinander, eine Liebe, die nicht sein darf und so weiter. Aber weit gefehlt. Vor dem Hintergrund des österreichischen Türkenkrieges Ende des 18. Jahrhunderts und den Reformen Kaiser Josephs II. gelingt Anour ein fesselnder, spannender und zugleich informativer Roman, der gespickt ist mit höfischen Intrigen, die selbst den Leser mutlos machen angesichts der ungerechten Machtverhältnisse.
Besonders beeindruckt haben mich vor allem auch die vielschichtigen Figuren, die es schwer machen vorschnell zu urteilen. Trotzdem habe ich mich emotional schnell für oder gegen sie einnehmen lassen, mit ihnen gelitten, geliebt und gehasst. Gleichzeitig war ich froh, dabei stets nur Leserin zu sein und mich nicht selbst in Situationen wiederzufinden, die oft aussichtslos und schwer zu ertragen sind. Umso mehr habe ich mich dann über Lichtblicke gefreut, denn natürlich bleibt immer die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden wird. René Anour stellt seinen fiktiven Romanfiguren auch einige historische Persönlichkeiten zur Seite, die in einem voranstellten Personenverzeichnis näher erläutert werden.
“Im Schatten des Turms” hat mich dann auch vor allem damit überrascht, dass das Buch wahnsinnig spannend ist. Auch wenn das Buch über 600 Seiten hat, so fliegen sie dann doch schneller als gedacht dahin. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Der Wechsel zwischen den Welten von Alfred und Helene, die Faszination des Grauens im Narrenturm, das Bangen während des Krieges – hier gerät Alfred geradewegs ins Verderben – und die Ungewissheit, was Gräfin Grazia mit ihren “Vöglein” bezweckt, haben mich schier um den Verstand und den Schlaf gebracht.
Für mich war “Im Schatten des Turm” ein außergewöhnliches Leseerlebnis und definitiv ein Jahreshighlight, dem ich noch viele Leser*innen wünsche!
© Tintenhain
Leseprobe
Weitere Rezensionen von Bloggern
Klusi liest
Nicht ohne Buch
Taschenbuch: 656 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch (15. Oktober 2019)
ISBN-10: 3499276704
ISBN-13: 978-3499276705
Preis: € 13,00 [D]
auch als eBook (zur Zeit 4,99€)
Kauf
Hallo liebe Mona,
dazu läuft auf LB zur Zeit sogar eine LR. Die ich leider verpasst habe…..
LG..Karin..
Liebe Mona,
hab‘s gerade gekauft! 🤩 Klingt nach einem wirklich genialen Buch!
Ich finde, dass Buch gehört in die Linkparty Oktober, meinst du nicht auch? Es hat Aufmerksamkeit und Leser verdient. 😄
GlG, monerl
Das klingt ja wirklich superspannend! Ohne deine Rezension wäre ich an dem Titel vorbeigelaufen. Und jetzt bedanke ich mich für deinen Tipp!
LG
Sabienes
Hi Mona,
das stand bei mir unter: muss ich haben und jetzt konnte ich es zum Wochenende aus meinem Wichtelpaket auspacken 🙂
Liebe Grüße Dunja