Martin Meyer: Der falsche Karl Valentin [Rezension]
München 1926. Der erfolgreiche Komiker und Sprachakrobat Karl Valentin erhält ein lukratives Angebot aus den USA – für zwei Jahre Bühne und Film. Fast zeitgleich taucht ein dreister Doppelgänger in München auf, ebenfalls aus Amerika. Zum heiligen Plagiarius, steckt dahinter etwa ein abgezirkeltes Komplott? Valentin wird in seinen Grundfesten erschüttert. Er kämpft mit sich und seinen Ängsten und fürchtet um seine Originalität und Identität. Wird es ihm gelingen, den Konkurrenten zu stoppen? (Inhaltsangabe © Gmeiner Verlag)
Karl Valentin, seines Zeichens Komiker, Schauspieler und Wortakrobat in München, hat es nicht leicht. Zwar laufen seine Auftritte in Münchens Theatern ganz gut und man wird auch bis nach Berlin auf ihn aufmerksam. Wenn da seine Panik vor dem Reisen nicht wäre, die ihm schier die Luft abschnürt. Und nun auch noch ein Angebot aus den USA. Auftritte in New York für 5000 US-Dollar in der Woche! Aber so eine lange Schiffspassage halten seine Nerven nicht aus. Was da alles passieren könnte! Auch seiner Partnerin Liesl Karlstadt erzählt er nichts davon, obschon klar ist, dass Valentin ohne sie diese Erfolge nicht hätte.
Kaum hat Valentin den Brief aus den USA unter der Matratze versteckt, plagt ihn schon das nächste Ungemach. Ein Aufschneider, ausgerechnet ein aus den USA zurückgekehrter Auswanderer, beginnt, in München Karl Valentin und seine Auftritte zu kopieren – und das gar nicht mal so schlecht. Nur das Entscheidende fehlt ihm: Liesl Karlstadt. Und die ist es ohnehin gerade leid, sich von Karl Valentin alles vorschreiben zu lassen.
Als Martin Meyer mich vor kurzem fragte, ob ich nicht Lust hätte, seinen Debütroman “Der falsche Karl Valentin” zu lesen, musste ich erst einmal recherchieren, woher ich den Namen Karl Valentin kannte. Von Liesl Karlstadt hatte ich jedenfalls ganz sicher noch nie gehört. Dabei waren das Komikerduo zu Beginn des 20. Jahrhunderts mal richtig berühmt und meine Oma benutzt Redewendungen, die, wie ich überrascht feststellte, von Karl Valentin stammen. (Zitieren werde ich hier aber nichts, da Valentin scheinbar eine klagewütige Nachkommenschaft hat.) Ich war dann also neugierig, zumal in meinem Lesekreis die Namen sehr wohl bekannt waren. Da hatte ich offensichtlich eine Bildungslücke.
Ich muss zugeben, ich habe den Roman eher halbherzig begonnen und dann war ich zu meiner Überraschung doch in kürzester Zeit gefesselt und habe das Buch in einem Rutsch an einem Tag gelesen. Martin Meyer bedient sich einer eher antiquierten, dem damaligen Sprachgebrauch angepassten Sprache, durchsetzt mit Fremdwörtern, französischen und bayrischen Wortfetzen. Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, aber erstaunlicherweise habe ich mich dann wider Erwarten davon nicht ausbremsen lassen. Vielmehr versetzte mich die Ausdrucksweise genau in die richtige Atmosphäre.
Martin Meyer zeichnet ein sehr lebendiges Bild von seinen beiden Hauptfiguren. Karl Valentin, der ein eher schwieriger, hypochondrisch veranlagter Zeitgenosse war, hatte es nicht ganz leicht, mir ans Herz zu wachsen. Zu sehr widerstrebt mir, wie er seine Mitmenschen, vor allem Liesl und im Grunde auch seine Frau behandelt. Liesl Karlstadt indessen, die selbst ihren Namen von Valentin verpasst bekam und unter seiner Eifersucht und Herrschsucht leidet, mochte ich von Anfang an sehr gern. Sie strebt danach, ihren eigenen Weg zu gehen, lieben zu dürfen und geliebt zu werden. Im Grunde zeigt Meyer an ihr, wie schwer es für Künstlerinnen zu der Zeit war, eigenständig anerkannt zu sein. Interessant fand ich auch die (möglicherweise fiktive) Verknüpfung mit anderen Künstlern wie Max Herrmann-Neiße.
“Der falsche Karl Valentin” ist aber nicht nur ein Porträt der beiden Komiker Valentin und Karlstadt, sondern auch eine wundervolle Zeichnung Münchens zur Zeit der 20er Jahre. Detailliert und bildhaft beschreibt Meyer das hektische Leben, die überfüllten Trambahnen, die Straßen und verqualmten Theatersäle. Er lässt München als mondänen Ort der Kunst und des Theaters erleben, bereits ansatzweise überschattet von der zunehmenden Macht der neuen Rechten. Zugleich wirkt die Stadt dann wieder wie ein Dorf, in dem einem jederzeit jemand über den Weg läuft und Gerüchte schneller die Runde machen als man “Nudelnsuppe” sagen kann. Man hat eine lebhafte Vorstellung vom Lebensgefühl der Künstler:innen, von Mode und den üblichen Gerichten in Restaurants, Bars und Kaffeehäusern. Mir hat das unglaublich gut gefallen und ich hatte den Eindruck, dass der Autor sehr viel Mühe auf die Recherche verwendet hat.
Ich kann das Buch auf ganzer Linie empfehlen, wenn man sich nicht von der gestelzt anmutenden Sprache abschrecken lässt. Aus irgendeinem Grund hatte ich einen Krimi erwartet, vielleicht weil das Buch bei Gmeiner erschienen ist. Ein Krimi ist es meiner Ansicht nach nicht, aber ich fand den Roman hochinteressant und sehr atmosphärisch. Jetzt habe ich fast das Gefühl Karl Valentin und Liesl Karlstadt persönlich gekannt zu haben.
© Tintenhain
Weitere Rezensionen von Bloggern
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Taschenbuch: 310 Seiten
Verlag: Gmeiner-Verlag (8. Juli 2020)
ISBN-10: 3839226961
ISBN-13: 978-3839226964
Preis: € 12,00 [D]
eBook: € 4,99 (Einführungspreis bis 30.07.2020)
Rezensionsexemplar
Hi Mona!
Ich bin ja “a Münchner Kindl” und natürlich ist mir der Name Karl Valentin bekannt, wir waren damals mit der Schule auch auch im Karl Valentin Museum, das direkt am Isartor ist 🙂
Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht viel von ihm, aber einige Redewendungen sind mir durch ihn schon bekannt.
Das Buch hört sich interessant an, auch wenn es jetzt mein Interesse nicht so wecken kann, aber es freut mich, dass es dich dann doch überzeugen konnte. Das Wort “Nudelnsuppe” kenne ich aber aus dem bayerischen nicht muss ich gestehen *lach* Das heißt eher “Nudlsuppn”, aber die Sprache hat sich ja auch gewandelt 😉
Liebste Grüße, Aleshanee
Das Wort “Nudelnsuppe” ist ein Wortwitz. Valentin meint, dass ja sonst nur ein Nudel in der Suppe sein würde, deshalb müsse es Nudelnsuppe heißen.
Danke fürs zeigen von dem Ausschnitt! Das ist sicher typisch für ihn gewesen, hab grade auch mal nach Zitaten von ihm gegoogelt …
Solche Wortspielchen hat er ja sicher öfter gemacht 🙂
Genau, das war seine Spezialität.
Hallo Mona,
irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir uns bereits über das Buch unterhalten hatten. DA lag ich wohl falsch in der Annahme, dass dies hier war. Dann kann es nur auf Twitter gewesen sein.
Mir sagen ja die beiden Komiker noch immer nichts. Aber ich bin auch ehrlich, ich mag Komiker meist nicht. Ich bin eher so der Fan von Satire. Komiker ziehen viele Sachen einfach zu sehr ins Lächerliche, dass ich nur die Augen verdrehen muss.
Meine Frage jetzt an dich. Ist dieses Buch eine Art Biographie oder eher Fiktion?
LG
RoXXie