Antje Wagner: Vakuum [Rezension]
Tamara sitzt im Zug nach Mannheim: Sie soll endlich mehr über ihre leibliche Mutter erfahren. Kurz dämmert sie ein und als sie die Augen wieder öffnet, steht der Zug und alle anderen Passagiere sind weg. Alissa war auf der kleinen Insel nur kurz eingenickt, aber als sie aufwacht, ist alles anders. Ihre Freunde sind spurlos verschwunden, die Vögel zwitschern nicht mehr. Und als sie 110 wählt, ist die Leitung tot. Tamara. Alissa. Leon. Hannes. Kora. Sie alle haben einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit und erleben nun, was es heißt, allein zu sein. Denn am 17. August um 15.07 Uhr passiert das Undenkbare: Die Zeit bleibt stehen, und alle Menschen um sie herum sind plötzlich verschwunden. In diesem beängstigenden Vakuum finden die fünf Jugendlichen nach und nach heraus, dass sie auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sind. (Klappentext © Beltz Verlag)
Die Autorin Antje Wagner habe ich als Teil des Autorinnen-Duos Ella Blix (“Der Schein“) kennen gelernt. In der Bücherei stieß ich auf ihren Jugendroman “Vakuum” und der Klappentext faszinierte mich.
Kora ist im Gefängnis. Irgendwie versucht sie die Zeit herumzubringen, ihre Zellengenossin Miriam zu ertragen und weiterzumachen, sich nicht aufzugeben. Als sie einen geheimnisvollen Brief mit einer verschlüsselten Botschaft erhält, ahnt sie, dass etwas auf sie zukommen wird.
Hannes hat schon seit Wochen das Haus nicht mehr verlassen, nur einmal am Tag macht er sich auf den Weg zum Golfplatz, um dort Schilder zu erneuern. Etwas muss passiert, wein, denn Hannes redet auch nicht mehr mit seiner besten Freundin Emma. Als er aus einem Traum erwacht, ist es plötzlich ganz still um ihn herum.
Tamara kann es kaum erwarten, endlich den Brief zu lesen, auf den sie schon so lange gewartet hat. Doch ihre Mutter hat nichts Besseres zu tun als ihr dabei im Wege zu stehen und sie noch dazu ausgerechnet mit der doofen Fiona verabreden zu wollen. Viel lieber wäre Tamara jetzt auf der Planwagenfahrt, aber ihre Mutter hat es verboten. Also schleicht sie sich heimlich weg, denn sie muss nach Mannheim und daran kann niemand sie hindern. Doch als Tamara von einem Nickerchen erwacht, stellt sie fest, dass sie ganz allein im Zug ist.
Alissa und Leon reden nicht mehr viel miteinander seit Nina weg ist. Auf einer Insel wollen sie mit Alissas Freunden zelten. Doch die beiden sind plötzlich verschwunden. Alissa und Leon suchen die ganze Insel ab und wählen schließlich den Notruf – doch niemand nimmt ab. Stattdessen zieht ein unheimlicher Nebel auf.
Kora, Hannes, Tamara, Alissa und Leon – sie alle haben ihr Päckchen, nein eigentlich einen ganzen Rucksack an Sorgen zu tragen. Anfangs weiß man nicht genau, was bei den Jugendlichen jeweils passiert ist. Vieles wird nur angedeutet, was einerseits Spannung erzeugt, andererseits auch ungeduldig macht. Die Jugendlichen sind sehr unterschiedlich und kommen aus ganz verschiedenen Familienverhältnissen. Antje Wagner gelingt es dabei, jedem eine unverwechselbare Stimme zu geben.
Habe ich das Buch anfangs noch für einen Mysterythriller mit Horrorelementen gehalten – immerhin fällt mir beim Ausgangsszenario gleich Stephen Kings “Langoliers” ein – so entpuppt sich der Roman doch als anspruchsvoller, tiefgründiger Jugendroman. Spannend ist das Buch auf jeden Fall, einmal angefangen, konnte ich die Jugendlichen kaum wieder sich selbst überlassen. Ich musste mit ihnen diesen Weg beschreiten. Und ihr Weg ist ganz sicher kein leichter.
Antje Wagner nimmt sich viel Zeit, ihre Charaktere vorzustellen, so dass der Zeitpunkt des Verschwindens der Menschen und das Aufeinandertreffen der Jugendlichen erst am Ende der ersten Hälfte passiert. Dennoch ist es kurzweilig, da es der Autorin schnell gelingt, ihren interessanten Figuren Tiefe und eine interessante Umgebung zu verleihen.
Später wird der Roman zunehmend philosophisch, was mir sehr gefallen hat. Es wird klar, wohin die Reise für die Jugendlichen gehen wird und wozu das entstandene Vakuum, in dem sich die fünf bewegen, dienen soll. Und so bieten sich Möglichkeiten und Lösungen, Verständnis und Verzeihen und die Chance, das Leben wieder in die Hand zu nehmen.
Besonders gut hat haben mir die unverwechselbaren Figuren mit ihren verschiedenen Familienkonstellationen gefallen. Auch trifft Antje Wagner gut den Ton und das Lebensgefühl junger Menschen. Es gibt viele Denkanstöße, wobei die Autorin hier keine Richtung vorgibt oder gar belehrend wirkt. Dabei ist es schier unglaublich, wie viele Dinge sie in den Roman eingebracht hat, ohne ihn dabei zu überladen.
Von Anfang an hat mich die pulsierende, lebendige Sprache von Antje Wagner beeindruckt. Es ist ein wahrer Lesegenuss und manche Formulierungen habe ich mir auf der Zunge zergehen lassen. Wagner spielt dabei liebend gern mit Metaphern, die oft so treffend sind, dass man sich wundert, dass sie einem nicht schon früher begegnet sind. Auch der Humor, der immer wieder hervorblitzt, traf genau meinen Nerv.
Für meinen Teil bin ich so begeistert, dass ich meinen beiden großen Töchtern von dem Buch erzählt habe und die ältere es sich inzwischen geschnappt hat. Auch bin ich entschlossen, noch mehr von Antje Wagner zu lesen.
© Tintenhain
weitere Rezensionen von Bloggern
Radiergummi
Antje Wagner: Vakuum
Taschenbuch: 379 Seiten
Verlag: Gulliver (Beltz & Gelberg), 29. Februar 2016
ISBN-10: 3407744943
ISBN-13: 978-3407744944
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: € 8,95 [D]
Bücherei
Hallo liebe Mona
wow, du warst wirklich schnell mit dem Buch und zum Glück habe ich Deine Rezension direkt gesehen. Andererseits, jetzt bin ich noch neugieriger geworden 😉 scheint mal was ganz anderes zu sein. Nur diese Jugendlichen und ihre Geheimnisse reizen enorm schon alleine Deine Beschreibungen machen es sehr besonders. Von der Autorin kenne ich kein Werk, sollte ich wohl mal ändern. Danke für die schöne Vorstellung. Liebe Grüße
Kerstin
Ich hab das Buch megaschnell gelesen, allerdings habe ich gerade auch Urlaub. Jetzt liest es meine älteste Tochter und sie hat es auch schon zur Hälfte durch. Es ist einfach auch spannend. Es ist auf jeden Fall kein 08/15-Jugendbuch. Versuch es mal. Ich lese als nächstes dann auch “Hyde”, das ist ihr aktuelles Jugendbuch.
Liebe Grüße,
Mona
Hallo Mona,
Ich habe das Buch auch seit Weihnachten hier, wollte es bis jetzt aber noch nicht lesen. Durch deine Rezension bin ich nun doch sehr neugierig geworden, vielleicht wird es ja bald in Angriff genommen 😀
Liebe Grüße,
Jessi
Ich könnte mir gut vorstellen, dass du zu lesen anfängst und dann nicht mehr aufhören kannst. So geht es gerade meiner ältesten Tochter. 😆
Liebe Grüße,
Mona
klingt spannend 😉
Was hatte Kora getan denn sie meinte das sie jemanden umgebracht habe? Ich verstehe es nicht ganz
Hallo Anita,
ich hatte das Buch aus der Bücherei und kann leider nicht mehr nachschlagen. Es ist zu lange her, als dass ich mich noch an Details erinnern könnte. Ich kann aber mal die Autorin fragen.
Liebe Grüße,
Mona
Liebe Anita Collenberg,
da es eine handlungsrelevante Information ist, würde ich total gern n i c h t sagen, was Kora gemacht hat. Würde ich es hier einfach so spoilerin, würde es anderen LeserInnen, die das Buch noch nicht kennen, einen entscheidenden Hint geben. Am besten, du liest es noch mal – es wird im Buch ganz konkret (relativ am Ende) aufgeklärt.
Ganz liebe Grüße, Antje Wagner