Imbolo Mbue: Das geträumte Land [Rezension]
Amerika – Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für Jende Jonga aus Kamerun geht ein Traum in Erfüllung, als er endlich seine Frau und seinen kleinen Sohn zu sich in die USA holen kann. Hier will er sich ein neues Leben aufbauen und seinen Kindern eine gute Zukunft ermöglichen. Jendes Frau Neni träumt davon, Apothekerin zu werden und studiert fleißig neben ihrer harten Arbeit als Altenpflegerin. Als Jende einen begehrten Job als Chauffeur des Wall-Street-Managers Clarks Edwards ergattert, scheint das Glück zum Greifen nah. Was noch fehlt ist, die Bewilligung des Asylantrags. Doch werden die Behörden Jende glauben, dass er in seiner Heimat verfolgt ist?
Jende und Neni, die in den Sommerferien als Hausmädchen bei den Edwards arbeitet, müssen bald feststellen, dass auch in den glamourösen und wohlsituierten Haushalten New Yorks nicht alles Gold ist, was glänzt. Und spätestens mit dem Zusammenbruch der Lehmans Brothers Bank, bei der Clark Edwards arbeitet, bröckelt die Fassade. Beide Familien müssen retten, was zu retten ist.
“Jeder will nach Amerika, Sir. Jeder. In diesem Land sein, Sir. In diesem Land leben. Ah! Das ist das Größte überhaupt, Mr Edwards.”
Imbolo Mbue, selbst Immigrantin aus Kamerun, erzählt in ihrem Roman von den Träumen und Wünschen der Migranten in den USA, die jedoch überall dieselben sind, sei es in Kanada oder in Europa. Die Menschen sind auf der Suche nach Glück und Wohlstand, nach einem besseren Leben. Vor allem die Kinder sollen es einmal besser haben und so wird jeder Cent für die Ausbildung zurückgelegt und insbesondere die bildungshungrige Neni achtet darauf, dass ihr Sohn in der Schule alles lernt, was es zu lernen gibt. Jende und Neni arbeiten hart für ihren Traum und nehmen jeden Job an, der zum Füllen der Haushaltskasse beiträgt. Dies ist auch notwendig, denn daheim in Kamerun müssen unzählige Rechnungen bezahlt werden und wer kann die zahlen, wenn nicht die “reichen” ausgewanderten Glücksucher?
Der Roman beginnt, als Jende seinen Job als Chauffeur des Bankmanagers Clark Edwards bekommt. Man spürt seine Aufregung und die Hoffnungen, die mit dem gut bezahlten Job in Verbindung stehen. Von nun an wird alles besser werden und tatsächlich wendet sich das Glück den Jongas zu. Neni ist erfolgreich im Studium, Sohn Liomi ist gut in der Schule und die Arbeit als Chauffeur ist nicht allzu schwer.
Als Fahrer eines wohlsituierten Bankers der Lehman Brothers Bank erhält Jende schon bald Einblicke in das Familienleben der Edwards, das bei weitem nicht so glücklich ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Sohn Vince träumt davon, die Welt zu verbessern und schlägt dafür zum Entsetzen seiner Eltern eine Karriere als Anwalt aus. Ein Leben wie sein Vater es führt, getrieben von Hektik und Überstunden, das sich noch dazu in Dienst des Geldes stellt, kann nicht richtig sein. Ehefrau Cindy, die aus einfachsten Verhältnissen stammt, ist getrieben von der Angst, die Fassade der reichen, glücklichen Frau nicht aufrecht halten zu können oder gar schlimmer, zu verlieren, was sie gewonnen hat.
Doch über allem schwebt das Damoklesschwert der Finanzkrise. Als Leser weiß man, dass der Börsencrash und die Pleite der Lehmans Brothers Bank naht und wartet darauf, dass die Welt der beiden Familien zusammen bricht. Doch als es endlich soweit ist, kommt die Krise für die beiden Familien von einer ganz anderen Seite. So bleibt der Roman die meiste Zeit in ruhigen Fahrwassern. Mbue erzählt unaufgeregt und wertungsfrei vom Leben der beiden Familien und gibt Einblicke in das Leben der illegalen Einwanderer, in ihre Freuden, ihre Sehnsüchte und die Schwierigkeiten in einem fremden Land Fuß zu fassen und dazuzugehören. Die Ambivalenz, echter Amerikaner sein zu wollen und gleichzeitig die Angst vor dem Identitätsverlust wird bildhaft beschrieben. Über allem schwebt immer die Frage, ob denn das Leben im “gelobten Land” wirklich so erstrebenswert ist. Zu sehen, dass diejenigen, die scheinbar alles erreicht haben, was man in den USA erreichen kann, nicht unbedingt zu den glücklichsten Menschen zählen, desillusioniert.
Das hochgelobte Debüt ist ein ruhiger Roman, abwechslungsreich und lebendig erzählt. Zwar ist der Spannungsbogen äußerst gering, doch zieht Mbue den Leser durch ihre wunderbare Erzählweise und die vielen Aspekte, die Migration mit sich bringt, in den Bann. Gekonnt verflechtet sie gegensätzliche Welten und bringt so Verständnis für beiden Seiten ins Spiel. Sie beleuchtet unaufdringlich und gekonnt eingeflochten das Einwanderungssystem, das willkürlich erscheint und die damit verbundenen Existenzängste, die zum Ende des Romans die beiden Einwanderer aus Kamerun zu Dingen treiben, die sie selbst nie für möglich gehalten hätten.
Insbesondere die Vielschichtigkeit und die vielen kleinen Momente, egal ob sie Gemeinsamkeiten oder Gegensätzlichkeiten aufzeigen, machen das Buch zu einem wunderbaren gemeinsamen Erlebnis für Lesekreise, da der Roman sehr viel Diskussionsstoff in sich birgt.
© Tintenhain
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Dieser Roman ist mir nun schon häufig begegnet und nach deiner Rezension wird er für mich noch einmal ein Stück weit interessanter. Auch wenn er eher ruhig daher kommt, so mag ich es sehr von intensiven Momenten und von dem Leben von unterschiedlichen Figuren zu lesen.
Sei lieb gegrüßt, liebe Mona.
Nisnis
Das Buch gab es bei vorablesen, da dürften einige Rezensionen um Umlauf sein. 🙂 Mir hatte schon eine Freundin im November beim Lesekreis davon erzählt. Sie meinte, das sei etwas für mich und damit hatte sie recht. Ich arbeite ja seit ein paar Jahren mit Migranten und habe viele Aspekte, die bewegen und wichtig sind, in dem Buch wiedergefunden. Es ist ein richtig gutes Buch, das man als Diskussionsgrundlage nehmen kann.
Liebe Grüße
Mona
Hallo Mona,
deine Rezension macht wirklich neugierig. Dank dir habe ich mir das Buch gerade auf meine Wunschliste gesetzt, also danke dafür 😀 Ich lese deine Rezensionen immer wieder gerne, weil du viel erzählst, ohne zu spoilern. Hab ein wundervolles und lesereiches Wochenende!
Liebste Grüßlies
Nina
Hallo liebe Nina,
danke für das Lob, das freut mich ganz besonders! Ich finde es selbst ganz furchtbar, gespoilert zu werden und habe auch schon mal mit zugehaltenen Ohren, “mimimi” singend, beim Bücherstammtisch gesessen.
Das Buch lohnt sich auf jeden Fall, weil es mal was anderes und vor allem wertfrei gehalten ist. Ich werde es demnächst mit dem Bücherstammtisch und zum Lesekreis mitnehmen, um es vorzustellen.
Liebe Grüße
Mona
Ich finde es auch immer ganz schrecklich gespoilert zu werden. Da vergeht einem doch gleich die Lust an Büchern oder Serien. 🙁 Doofe Sache das.