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Kirsten Boie: Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen [Rezension]

Es gibt Dinge die kann man nicht erzählen
Cover © Oetinger Verlag

 

“Ich kenne einen Jungen in Afrika, der ist elf Jahre alt und lebt in den Hügeln von Shiselweni, wo es schöner ist als irgendwo sonst auf der Welt, nicht weit von Hilatikulu. Mit seiner Gugu lebt er da und mit Nomphilo, seiner Schwester; und was morgen sein wird oder in einem Jahr, wenn er zwölf Jahre alt ist, danach fragt er nicht.”

In vier kleinen Geschichten erzählt Kirsten Boie von Kindern aus Swasiland. Ein kleines Land, im Süden Afrikas. Ein Land, in dem ein König regiert und in dem die Kinder zu Schule gehen sollen und gleichzeitig Auflagen auferlegt werden, die den Schulbesuch vielen Kindern unmöglich machen. Ein Land, in dem fast die Hälfte aller Kinder Aids-Waisen sind. Ein Land, in dem die Lebenserwartung bei 31 Jahren liegt.

Sie erzählt von Thulani, dessen Mutter neben der Hütte begraben liegt und dem niemand hilft einen Totenschein zu beschaffen. Ohne diesen kann er nicht kostenlos zur Schule gehen. Sie erzählt von Sonto, die das selbst gestaltete Erinnerungsbuch der Mutter hütet als einen kostbaren Schatz und aus dem sie ihrer kleinen Schwester Pholile vorliest, um die Erinnerung an die Mutter wach zu halten. Sie erzählt von Lungile, die alles tut, um ihrer kleinen Schwester Jabu Schuhe zu kaufen, ohne die der Schulbesuch nicht erlaubt ist. Sie erzählt von Sipho und seiner Gugu und dem offenen Feuer in der Hütte.

Ich wurde durch Kirsten Boie selbst auf das Buch aufmerksam gemacht, die bei ihrer Lesung zu „Thabo – Detektiv und Gentleman: Der Nashorn-Fall“ in Braunschweig von den Kindern aus Swasiland erzählte und dabei „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“ erwähnte.

Ein dünnes Bändchen nur, das man in kurzer Zeit lesen kann. Bei mir entwickelte es sich zu einem regelrechten Sog. Den kleinen Geschichten, die zwar ausgedacht sind, sich jedoch täglich so in Afrika abspielen, konnte ich mich kaum entziehen. Man weiß doch so viel über das Leid der Kinder in Afrika und trotzdem ist unfassbar erschütternd, davon zu lesen. Kirsten Boie gibt den Kindern einen Namen, eine Geschichte, eine Erinnerung. Kinder, die viel zu schnell erwachsen werden müssen, weil die Erwachsenen nicht mehr da sind. Die für jüngere Geschwister Elternersatz sein müssen, die völlig auf sich gestellt überleben müssen. Sie kennen es nicht anders, doch in diesem Moment fühlt man sich fassungslos und hilflos, es ist kaum zu ertragen, was diese Kinder erdulden.

Kirsten Boie erzählt in ihrem unverwechselbaren Stil, einfach und berührend, dabei stets ohne Wertung. So steht in Thulanis Hütte ein Rollstuhl für die Großmutter – sie ist stolz auf den Gruß aus der wohlmeinenden westlichen Welt. Man hat an sie gedacht. Darüber, dass die Großmutter den Rollstuhl hier in den Bergen nicht benutzen kann, selbst wenn er durch die Tür passen würde, um ihn nach draußen zu bringen, darüber kann man sich dann selbst Gedanken machen. Oder auch über die Talentsucher, die in den Dörfern an den Fußballfeldern stehen und die Jungen beobachten und auch der nebenbei erwähnte Verkäufer für Kleidung aus der westlichen Welt macht nachdenklich.

Denkt man genauer darüber nach, stellt man fest, wie widersprüchlich und realitätsfremd sich die Regierung verhält, mit Gesetzen, die das Leben besser machen sollen – Schulpflicht, Verbot von Kinderarbeit – die gleichzeitig aber die Situation der Kinder verschlimmern, da sie in der Realität die Kinder vor unüberwindbare Hürden stellen.

Besonders durch ihren einfachen Erzählstil gelingt es Kirsten Boie ein eindringliches Porträt zu zeichnen, das berührt, erschüttert und fassungslos macht.
Die bekannte Kinderbuchautorin setzt sich seit vielen Jahren für Kinder in Swasiland ein und unterstützt das Projekt „MobiDik“. In einem Nachwort beschreibt Kirsten Boie ihre Motivation zu dem Buch und erklärt „Wenn die Geschichten traurig sind, kann ich es darum nicht ändern. Trauriger als die Wirklichkeit sind sie nicht.“

Das Buch wird vom Verlag ab 14 Jahren empfohlen, was ich für sinnvoll halte. Jüngere Leser sollten beim Lesen begleitet werden.
Die Illustrationen in Form von Tafelbildern stammen von Regina Kehn.

© Tintenhain

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Kirsten Boie: Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen

es_gibt_dinge_die_kann_man_nicht_erzaehlen-9783841504418
Cover © Oetinger Verlag

Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
Verlag: Oetinger (1. Januar 2013)
ISBN-10: 3789120197
ISBN-13: 978-3789120190
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: € 12,95 [D]

Broschiert: 112 Seiten
Verlag: Oetinger Taschenbuch (22. Juli 2016)
ISBN-10: 3841504418
ISBN-13: 978-3841504418
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Preis: € 7,99 [D]
Bücherei

3 Kommentare

  1. Das Buch spricht auf jeden Fall wichtige und ernste Themen an und ich fand es vor allem berührend, dass die Schicksale ja alle leider nicht erfunden sind :/.
    Was mich damals beim Lesen gestört hat, war glaube ich der Kontrast zwischen dem kindlichen, indirekten Schreibstil und den Themen wie Aids oder Prostitution, die man ohne Vorwissen nicht verstehen kann und vielleicht auch nicht unbedingt kleinen Kindern erklären möchte. Da stimme ich dir zu, dass Kinder beim Lesen begleitet werden sollten.

    1. Als ich das Buch begonnen hatte, dachte ich, ich gebe es dann meiner Tochter zum Lesen. Das lag auch sicher mit am Schreibstil. Beim Kapitel mit der Kinderprostitution habe ich mir das dann aber wieder überlegt. Sie muss noch warten. Ich weiß ja, was das Buch mit mir angestellt hat.

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