Tintenhain – Der Buchblog

Rafik Schami und mein Damaskus – Eine Liebeserklärung

Schami-buecherEs ist jetzt über 20 Jahre her, dass ich Rafik Schami in der Stadtbibliothek in Hildesheim, wo ich studiert habe, entdeckt habe. Reiner Zufall, ich weiß nicht mehr, was mich dazu bewogen hat, ausgerechnet ein Buch von ihm in die Hand zu nehmen, vielleicht der arabische Name. Ich weiß tatsächlich nicht mehr, welches Buch ich zuerst gelesen habe. Vielleicht war es “Eine Hand voller Sterne”, vielleicht sogar “Erzähler der Nacht”, das ich bis heute als Lieblingsbuch bezeichne.

Von dem Moment an gab es für mich kein Halten mehr, ich hatte einen Schatz gefunden. Hier war ein grandioser Erzähler, der mir von der Heimat meines Vaters erzählte, als könnte ich dabei sein. Ich fand Momente, die sich mit den wenigen Erzählungen meines Vaters, der nur drei Jahre später als Rafik Schami ebenfalls in Damaskus geboren wurde, deckten, nur dass Schamis Bilder stärker wirkten und lebendig wurden.

schamiInBS2016Ich las alles, was die Bücherei hergab und hörte sämtliche Kassetten. Auch Bilderbücher wie “Der Wunderkasten”, die Märchen und auch die “Gastarbeiter”-Literatur wie “Die Sehnsucht fährt schwarz” und “Gesammelte Olivenkerne” wurden von mir verschlungen. Kein Wort wollte ich verpassen.

Im Jahr 2000 fuhr ich das erste Mal selbst nach Damaskus. Warum nicht schon früher? Das ist eine andere Geschichte. Zuvor kaufte ich mir einen Reiseführer und meine Cousine wurde kurzerhand zu meiner Reiseführerin. Allein durfte ich ja ohnehin nicht unterwegs sein. Wir entdeckten gemeinsam die Altstadt und ich sah alles durch die Augen meines Lieblingsautors und wandelte auf seinen Spuren – vielleicht auch nur vermeintlich, aber dafür mit ganzer Seele. Meine Cousine meinte hinterher zu mir, sie habe durch mich Damaskus neu entdeckt und mein Onkel erbat sich meinen Reiseführer. Später zeigte mir auch mein Vater seine liebsten Plätze in Damaskus.

Wir fuhren auch nach Ma’lula, in das Dorf aus dem Schamis Familie stammt und dessen Märchen ich so gut kannte. Ich floh mit der Heiligen Thekla durch die enge Schlucht und erklomm den Berg bis zum Kloster. Für meine Familie “alte Steine” – für mich wahr gewordener Traum.

mit Rafik Schami auf der Frankfurter Buchmesse 2015Kurz darauf – ich war gerade nach Braunschweig gezogen – kam Rafik Schami mit seinem Roman “Die Sehnsucht der Schwalbe” in die Buchhandlung Graff. Meine Begeisterung kann man sich vorstellen. Ich wollte ihm schon immer gern sagen, wie dankbar ich ihm für seine Bücher bin und wie froh ich darüber bin, dass er in mir eine tiefe Liebe zur Heimat meines Vaters geweckt hat. Aber ich fand es unpassend. Wenn jetzt jeder käme und ihm seine Lebensgeschichte erzählt, nur weil er auch Syrer ist.
Ich sah meinen Lieblingsschriftsteller auch später noch mal mit “Das Herz der Puppe”, eine wunderbare Erzählzeit, zu der ich meine Töchter und meinen Mann mitnahm. Denn sie sollten diesen begnadeten Erzähler selbst erleben und hoffentlich lieben lernen. Mein Glück kaum fassen konnte ich, als ich im letzten Jahr auf der Frankfurter Buchmesse unversehens Rafik Schami gegenüber stand, noch dazu allein, nur mit einer Verlagsmitarbeiterin. Jetzt war wohl die Zeit gekommen, ihm endlich meine Verehrung und meinen Dank aussprechen zu können. Doch er musste weg und die Zeit reichte wenigstens noch für ein gemeinsames Foto.

Heute nun war Rafik Schami in Braunschweig, um seinen wundervoll erzählten, feinsinnigen Roman “Sophie oder Der Anfang aller Geschichten” [Rezension] vorzustellen und somit die ersten Braunschweiger Buchwochen zu eröffnen. Nach einer fantastischen, bewegenden, witzigen Erzählzeit gab es dann entgegen meiner Erwartung tatsächlich noch die Möglichkeit, Bücher signieren zu lassen. Meine “Sophia” hatte ich dabei und so stellte ich mich in die Schlange. Schami wechselte beim Signieren mit den Lesern ein paar Worte und ich überlegte schon, ob ich dieses Mal etwas sagen würde, als ich den Reporter des NDR entdeckte, der sein Mikrofon dazwischen hielt. Also doch nicht.

2016-05-27 23.27.05Doch in dem Moment, in dem ich an der Reihe war, verschwand der Reporter und ich fasste mir ein Herz – das im Übrigen so laut wummerte, dass ich mich kaum selbst sprechen hörte. Rafik Schami nahm meine Hand in seine beiden Hände und wünschte “Alles Gute, Mona!”. Ich konnte mich gerade noch umdrehen, bevor die ersten Tränen liefen.

Danke, Rafik Schami, für alles. Ich verneige mich!

© Tintenhain

 

11 Kommentare

  1. Liebe Mona,
    dein Bericht berührt so sehr, dass auch ich bei Deinen letzten Zeilen die Tränen in den Augen hatte.
    Ich freue mich wahnsinnig für dich, dass sich doch noch die Gelegenheit ergab.
    Man kann in Deinem Text so richtig Deine Emotionen rauslesen, mir selbst fehlen da grad aber die richtigen Worte um auszudrücken was ich dabei empfunden habe.
    Ich finde es faszinierend, dass dieser Autor Dich im Laufe der Jahre konstant durch dein Leben begleitet und großartig, dass er Dir die Heimat deines Vaters so verinnerlichen konnte.
    Liebe Grüße
    Ela

    1. Liebe Ela, ja, es ist etwas ganz besonderes. Ich habe auch lange gebraucht, meinem Lesekreis ein Buch von Schami vorzuschlagen. Ich wollte nicht, dass jemand herumkrittelt. Aber dann haben wir gemeinsam “Erzähler der Nacht” gelesen. 🙂 Man muss eben doch (mit)teilen, was für ein wunderbarer Autor er ist!
      LG, Mona

  2. Liebe Mona,

    ich durfte ihn in Flensburg bei einer “Lesung” erleben. Es war so toll. Ich kann jedem empfehlen, zu einer Veranstaltung von ihm zu gehen, egal, ob man ein Buch von ihm kennt oder nicht. Er erzählt euch das Buch. Er liest es nicht. Er liest nicht vor. Nein, er nimmt jeden mit in seine Welt. Er erzählt so anschaulich, bindet Nebenschauplätze und alle Charaktere mit ein. Total faszinierend : -).

    1. Ich fand es auch sehr toll, viel mehr über die Charaktere zu erfahren. Vieles kam im Buch gar nicht vor. Und man hat jedes Mal das Gefühl, er erzählt nur für mich. 🙂

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