Ruth-Maria Thomas: Die schönste Version [Rezension]
Die späten Nullerjahre, frühen 2010er Jahre in einer ostdeutschen Kleinstadt: Die schönste Version erzählt die Geschichte von Jella und Yannick, von der ersten großen Liebe, die alles richtig machen will. Bis es kippt. Wieder zurück in ihrem Kinderzimmer fragt Jella sich, wie es so weit kommen konnte. Sie schaut noch einmal genauer hin: auf ihr Aufwachsen in der Lausitz. Kleinstadt und Kiesgruben, Gangsterrap und Glitzerlipgloss. Auf Freundinnen, die sie durch so vieles trugen. Und auf den Moment, in dem Yannicks Hände sich um ihren Hals schlossen. (Inhaltsangabe © Rowohlt Verlag)
Ich bin eher zufällig über dieses Buch gestolpert und mich hat angesprochen, dass der Roman in einer ostdeutschen Kleinstadt spielt – und es dabei mal nicht um Nazis und Baseballschlägereien gehen sollte. Ich war gespannt. Schon die ersten Seiten sogen mich regelrecht ein.
Es beginnt damit, dass Jella sich an die Polizei wendet: Ihr Freund Yannick hat sie gewürgt, bis sie dachte, sie müsse sterben. Für den Polizisten sind Fälle von häuslicher Gewalt nichts Ungewöhnliches. Vielmehr interessiert ihn, wie Jella sich gewehrt hat – mit einer Pfeffermühle auf den Kopf von Yannick. Das zieht leider auch eine Anzeige nach sich.
Jella zieht frustriert in ihr altes Kinderzimmer bei ihrem Vater. Die Mutter ist schon vor Jahren nach Berlin gegangen. Die Enge der Kleinstadt in der Lausitz hielt sie nicht mehr aus. Soll Jella den Freundinnen Linh und Anna erzählen, was passiert ist? Ist es vielleicht doch ihre eigene Schuld? Und wie konnte es so weit kommen?
In Rückblicken erfährt man, wie Jellas Leben seit dem Umzug und die Stadt verlaufen ist. Ihre Suche nach Freundschaft, nach Anerkennung und nach der großen Liebe. Mit einfachen, oftmals sehr drastischen Worten beschreibt Anna-Maria Thomas, wie Jella sich anpasst an das, was sie als Mädchen sein zu müssen glaubt. Sexy, enthaart, geschminkt – aufreizend, aber nicht zu vulgär, gefallend. Die ersten Erfahrungen mit Jungs zeigen, dass Jellas Bild vom Frausein ein männliches Bild ist. Doch dies erkennt sie nicht.
„Die schönste Version“ ist ein eindringlich geschriebener Roman, der eine klare, zuweilen vulgäre Sprache nutzt, um das Aufwachsen als Mädchen in den späten Nullerjahren zu beschreiben. Jella geht ausschließlich toxische (Liebes-)Beziehungen ein, immer auf der Suche nach der schönsten Version von sich und dem Leben, auf der Suche nach dem großen Glück, das sich in einer schicken Wohnung, Dinner mit Freunden und angesagten Getränken erschöpft. So wie letztendlich die Werbung und die Medien und das perfekte Leben vermitteln wollen. So schrecklich die jungen Männer in ihrem Selbstverständnis daher kommen, so schön ist dann die Freundschaft der jungen Frauen, denn Jella hat innige Beziehungen zu ihren Freundinnen – nur das Unaussprechliche bleibt unausgesprochen. Jella hat eine leise Ahnung davon, dass es so nicht richtig sein kann, doch sucht sie die Fehler immer bei sich, was ihr von den Jungs bzw. Männern auch genauso rückgemeldet wird.
Aufgrund des schnellen, fast hektischen, und intensiven Sprachstils flogen die Seiten nur so dahin und ich konnte es kaum erwarten herauszufinden, welchen Weg Jella am Ende einschlagen würde. Das Buch könnte überall in Deutschland spielen, zufällig ist es die Lausitz. In ganz kleinen, aber nicht unbedeutenden Schlaglichtern, bekommt man einen Eindruck, was das Ende der DDR für die Menschen verändert hat. Ganz nebenbei und nicht anklagend. Aber für aufmerksame Leserinnen und Leser wesentlich.
“Die schönste Version” ist meiner Meinung nach ein wichtiges Buch, über dessen Inhalt viel gesprochen werden sollte, insbesondere in einer Zeit, wo unter anderem, aber nicht nur, Talahons mit ihrem sexistischen Frauenbild die sozialen Medien bevölkern und patriarchische Strukturen stärken und durchsetzen wollen.
© Tintenhain
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Lust auf Literatur
Buchsichten
Broschiert: 272 Seiten
Verlag: Rowohlt Buchverlag (16. Juli 2024)
ISBN-10: 3498006959
ISBN-13: 978-3498006952
Preis: € 24,00 [D]
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