Nikola Scott: Zeit der Schwalben [Rezension]
Es ist ein goldener Sommer im England der späten 50er Jahre: Die 16-jährige Elizabeth ist begeistert von den jungen Leuten, die sie auf dem Anwesen der Freunde ihrer Eltern in Sussex kennenlernt. Sie erlebt unbeschwerte Tage mit Ausflügen, Picknicks und Partys. Und sie verliebt sich prompt…
London, 40 Jahre später. Nach dem Unfalltod ihrer Mutter erhält Adele Harington einen mysteriösen Anruf: Ein Mann spricht von “neuen Spuren” und nennt immer wieder ein Datum. Und dann steht plötzlich eine Fremde vor der Tür und behauptet, Teil der Familie zu sein… (Klappentext)
Gemeinsam mit der Familie begeht Adele Harington den ersten Todestag ihrer Mutter Elizabeth, die bei einem Unfall ums Leben kam. Der Vater ist in seiner Trauer verloren, die jüngere Schwester mit ihrer ersten Schwangerschaft beschäftigt. Adele ist davon genervt, dass alle meinen, die Trauer um die verlorene Mutter für sich gepachtet zu haben und dabei noch vorschreiben wollen, wie sie mit ihrer Trauer umgehen solle. Sie verkriecht sich ins Arbeitszimmer ihrer Mutter, wo ihr die Handtasche der Verstorbenen in die Hände fällt. Da klingelt das Telefon und ein Fremder erklärt, er habe neue Spuren gefunden. Als er dabei Adeles Geburtsdatum nennt, vergisst diese völlig perplex, den Irrtum aufzuklären, dass nicht ihre Mutter Elizabeth am Apparat sei.
Doch dann klingelt es an der Tür und eine fremde Frau bringt mit nur einem Satz Adeles Welt ins Wanken: “Elizabeth. Wissen Sie, sie ist meine Mutter.”
Nikola Scotts Familienroman beginnt mit einem Paukenschlag, der sofort die Neugier erwachen lässt. Was hatte Adeles Mutter zu verbergen? Wer ist die fremde Frau vor der Tür wirklich? Und wovon sprach der Mann am Telefon? Ziemlich schnell wird der jungen Frau, die eigentlich nur Addie genannt wird, klar, dass die Vergangenheit ihrer Mutter ein großes Geheimnis birgt, von dem sie unmittelbar betroffen ist. Es fällt ihr nicht ganz leicht, die neue Situation anzunehmen und doch erhofft sie sich vielleicht zu erfahren, warum das Verhältnis zur Mutter immer schwierig war. Während Addie behutsam die Spur in die Vergangenheit aufnimmt, ist der Leser der jungen Frau um einiges voraus. Eingestreute Tagebucheinträge Elizabeths aus den 50er Jahren lassen bereits erste Vermutungen zu und zeichnen vor allem ein ganz besonderes Bild von Elizabeth als jungem Mädchen. Beide Handlungsstränge ergänzen einander und verdichten zunehmend das Gesamtbild.
Nikola Scott ist mit ihrem Debütroman eine spannende und atmosphärisch dichte Geschichte gelungen, die in die 50er Jahre Englands führt und ein interessantes Porträt der Gesellschaft zeichnet. Die Figuren sind einprägsam und authentisch. Vor allem Addie macht eine sehr interessante Entwicklung, die ihr dabei hilft, den eigenen Weg zu gehen und Frieden mit ihrer Mutter zu schließen. Spannend fand ich vor allem herauszufinden, wie es zu den sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Elizabeth kam. Da ist einerseits das junge, begeisterungsfähige Mädchen, das auf dem lande die erste Liebe erfährt und ihrem Tagebuch die geheimsten Gedanken anvertraut, anderseits die ehrgeizige Mutter, die es ihrer Tochter im Leben nicht leicht gemacht hat.
Sehr gefallen haben mir auch die dynamischen Beziehungen der Figuren untereinander. Addies Vater, die Schwester, der Freund aus Kindertagen, der offensichtlich mehr möchte, die Chefin, die ganz andere Pläne hat als Addie gehofft hat – mit allen hat es die verschlossene Addie nicht ganz leicht und doch bringen sie die Geschehnisse dazu, vieles in einem neuen Licht zu sehen. Obwohl es so spannend ist, herauszufinden, was mit Elizabeth vor 40 Jahren geschah, so blieb mein Herz bei Addie und dem Wunsch, ihrem Leben einen Schubser in Richtung Glück zu geben. Das schwierige Mutter-Tochter-Verhältnis, das zunächst kaum verständlich war, wird zunehmend besser nachvollziehbar.
Nikola Scott hat einen leichten, eingängigen Schreibstil, der zum Schmökern und Abschalten von Alltag einlädt – perfekt für die nasskalte Jahreszeit. Ein wenig Schwierigkeiten hatte ich mit der doppelten Ich-Perspektive in den Tagebucheinträgen Elizabeths und aus Addies Sicht. Hier musste ich mir immer bewusst machen, bei welcher der beiden Figuren ich gerade verweilte, insbesondere da Elizabeth ja in beiden Handlungssträngen eine Rolle spielte und dabei so gegensätzlich beschrieben wurde.
“Zeit der Schwalben” ist eine sehr spannende, empfehlenswerte Familiengeschichte, die durch die Verstrickung mit der Nachkriegszeit eine besondere Würze verliehen bekommt.
© Tintenhain
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Nikola Scott: Zeit der SchwalbenGebundene Ausgabe: 512 Seiten |
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