Erika Fatland: Sowjetistan – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan [Rezension]
Eine Reise durch die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens: Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan. Voller Fragen, Neugierde und Abenteuerlust machte sich die norwegische Journalistin Erika Fatland auf in diesen so fernab gelegenen Teil der Welt. Sowjetistan ist das Ergebnis dieser Reise: eine beeindruckende Reportage voller erstaunlicher, ergreifender und skurriler Geschichten, Begebenheiten und Begegnungen, die einem immer wieder aufs Neue die Augen öffnen.
Mit dem Ende der Sowjetunion feierten diese fünf Staaten ihre Unabhängigkeit. Sie erstrecken sich von der Wüste bis ins Hochgebirge, gelangten, wie Kasachstan, dank großer Öl- und Gasreserven zu beachtlichem Reichtum, oder zählen, wie Usbekistan, zu den ärmsten Ländern der Welt. Was sie eint, ist eine große Zerrissenheit – zwischen jahrzehntelanger Sowjetherrschaft und autonomer Selbstverwaltung; zwischen hypermoderner Großmachtinszenierung und ärmlichen Lebensbedingungen; zwischen diktatorischem Herrscherkult und höchst lebendigen Traditionen und Kulturen. Erika Fatland erzählt von Samarkand und Dschingis Khan, von Brautraub und der Kunst der Adlerjagd, von erstaunlichen Machtdemonstrationen korrupter Despoten, von marmornen Städten und riesigen Goldstatuen, die sich mit der Sonne drehen. (Klappentext)
Journalisten unerwünscht! – Das hält die norwegische Sozialanthropologin und Journalistin Erika Fatland jedoch nicht auf, in die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens zu reisen, über die bei uns nicht besonders viel bekannt ist (abgesehen von Kasachstan) und die sich zum Teil auch stark nach außen abschotten. Bereits auf den ersten Seiten, in denen es um den Krater von Derweze, auch das “Tor zur Hölle” genannt, geht, wurde meine Aufmerksamkeit gefesselt und schon bald konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen.
Mit kritischem Blick berichtet Erika Fatland ihre Erlebnisse und stellt sie immer wieder auch in den Zusammenhang mit geschichtlichen und gesellschaftlichen Bezügen und Veränderungen. Insbesondere die Sowjet-Nostalgie, auf die sie permanent trifft, verwundert sie zunächst und sie hinterfragt, wonach sich die Menschen denn genau sehnen. Die Sowjetzeit brachte jedoch auch gravierende Veränderungen in allen fünf Staaten mit sich, die das gesellschaftliche Leben zum Teil komplett veränderten. Mammutprojekte wie die Begrünung der Wüste mit Baumwollpflanzen, die Förderung von Erdgasvorkommen, Atomtests und Versuche mit biologischen Waffen prägen das Leben der Bewohner bis heute. Der Aralsee ist fast verschwunden, das Klima hat sich verändert.
Fatland berichtet informativ, ohne zu wissenschaftlich zu werden. In kleinen Episoden lässt sie Einwohner zu Wort kommen und verflechtet die Interviews mit ihren Beobachtungen und Zeitdokumenten. Dass Geschichte stets von den Machthabern geschrieben wird, kann sie vor allem in den stark diktatorisch ausgeprägten Republiken wie Turkmenistan beobachten. Interviewpartner, die sagen, was sie denken, sind hier auch viel schwerer zu finden. Doch Fatland beweist viel Einfühlungsvermögen und so bekommt sie meist auch Antworten auf ihre Fragen.
Es ist ungeheuer spannend, Erika Fatland auf der Reise durch die “Stans” zu begleiten. Länder, die in Europa und in unseren Medien kaum eine Rolle spielen. Viel hat sich verändert, zuerst durch die tiefgreifenden Einschnitte der Sowjetunion, die zum Beispiel aus Nomaden ein produktives und gebildetes Volk machen wollten, Schulen und Kolchose gründeten. Gleichzeitig wurden ganz Volksgruppen deportiert, um die Ziele zu erreichen. Kasachstan ist aufgrund seiner Gulags bis heute ein Schmelztiegel der Nationen. Insbesondere die Begegnungen mit den Menschen machen das Buch zu etwas Besonderem. Doch auch der Informationsgehalt zu den geschichtlichen Hintergründen ist nicht zu vernachlässigen und sehr interessant und verständlich aufbereitet.
“Sowjetistan” ist ein unbedingt lesenswertes, interessantes und informatives Buch, das mich jede freie Minute zum Weiterlesen verleitet hat. Wer hätte gedacht, dass ein Sachbuch so fesselnd ist?
Die leider sehr wenigen Fotos kann man sich auch auf dieser Fotostrecke ansehen.
© Tintenhain
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Erika Fatland: Sowjetistan – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und UsbekistanBroschiert: 511 Seiten |
Eine sehr interessante Buchempfehlung, die kommt auf jeden Fall auf meine To-Read-Liste 🙂 Über diese Stan-Länder weiß man ja allgemein ziemlich wenig und zumindest ich verwechsle sie auch immer, weil ich eben so gar keine Assoziationen zu ihnen habe.
Ja, so ging es mir auch immer. Eigentlich wusste ich nur etwas über Kasachstan. Ich freue mich jedenfalls sehr, dieses Buch entdeckt zu haben.
Dem kann ich mich nur anschließen. Schon notiert.