Tintenhain – Der Buchblog

David Arnold: Auf und davon [Rezension]

Cover Heyne fliegt

Inhalt:
Als die sechzehnjährige Mim erfährt, dass es ihrer Mutter, die 1500 km entfernt in Cleveland lebt, schlecht geht, türmt sie Hals über Kopf und steigt in den nächsten Greyhound. Hinter sich lässt sie den überbesorgten Vater, die neue Stiefmutter und ein Zuhause, das viel zu billig war. Vor sich hat sie einen Roadtrip, bei dem sie eine verrückte alte Lady, schräge Typen und gefährliche Zeitgenossen kennenlernt. Bei sich hat sie ein Tagebuch und ein Döschen mit “Abilitol”.

“Ich bin eine Sammlung von Merkwürdigkeiten, ein Zirkus von Neuronen und Elektronen: Mein Herz ist der Direktor, meine Seele die Trapezkünstlerin, und die Welt ist mein Publikum. Das klingt seltsam, weil es das ist, und das ist es, weil ich seltsam bin.”

“Auf und davon” ist ein außergewöhnliches Buch, in mehrfacher Hinsicht. Da ist einerseits der virtuose Sprachstil des Autors, der mit Worten jongliert und mit seinen pointierten Formulierungen den Nagel auf den Kopf trifft, dabei manchmal überreizt und manchmal sich selbst zu verlieren scheint. Da ist andererseits eine rasante Story, in der es von skurrilen Personen und absurden Situationen nur so wimmelt. Am skurrilsten ist dabei wahrscheinlich die Protagonistin Mim selbst. Während der Anfang des Buches noch als klare Geschichte erscheint, wird der Roadtrip des jungen Mädchens zunehmend verrückter und unwahrscheinlicher. Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob das alles real ist oder ob Mim, wie ihr Vater vermutet, nicht vielleicht doch die psychische Erkrankung der Tante ererbt hat.
Dabei erzählt Mim, die eigentlich Mary Iris Malone heißt, auf zwei Ebenen: den Briefen an Isabel, die sie in ein Tagebuch schreibt und die zum Teil als Rückblende dienen und dem eigentlichen Erzählstrang.

“Denn ich bin Mary Iris Malone, und mit mir stimmt etwas nicht.”

Mim ist ein ungewöhnliches Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Sie konfrontiert sich und ihre Umgebung direkt und schonungslos mit ihrem Inneren. Mal intelligent und alles durchschauend, mal naiv und unsicher, immer aber auch selbstirionisch. Ein typischer Teenager, der damit kokettiert, anders zu sein. So probiert sie Identitäten aus. Mal muss dafür das winzige Tröpfchen Cherokeeblut ihrer Vorfahren herhalten, mal der britische Akzent der Mutter. Doch wenn Mim den Lippenstift ihrer Mutter hervorzieht und sich Strich für Strich ihre Kriegsbemalung verpasst, ahnt man, dass hier doch viel mehr dahinter steckt als bloßes Teenagergehabe.

“Mein ganzes Leben habe ich nach meinen Leuten gesucht, und nie hat es geklappt. Irgendwann, und ich weiß nicht, wann das war, habe ich die Isolation akzeptiert. Ich habe mich zu einer Kugel zusammen gerollt und mich mit einem Leben der Beobachtung und Theorie zufriedengegeben, was eigentlich gar kein Leben ist.”

Die Menschen, die Mim auf ihrer Reise trifft, sind mindestens so ungewöhnlich wie das Mädchen selbst. Fast wünscht man sich ein wenig Normalität. So schließt sie Freundschaft mit einer alten Dame, die ein Kästchen umklammert hält, das sie ihrem Neffen bringen will. Der Ponchomann hingegen erscheint ihr gefährlich und Mim wird später erfahren, ob sie ihrem Instinkt trauen kann. Besonders intensiv jedoch ist die Beziehung zu Walt und Beck. Die Begegnung mit dem geistig retardierten Walt mutet fast surreal an, während sie für Beck sofort romantische Gefühle entwickelt. Auch Beck ist auf einer Mission und es wird sich zeigen, wie weit sie ihren Weg gemeinsam gehen können.

UNTZERSCHÄTZE DEN WERT VON FREUNDEN NICHT.

David Arnold packt nicht nur sehr viel Ballast auf die Schultern seiner jungen Protagonistin, sondern auch jede Menge Themen in sein Buch. Da geht es natürlich in erster Linie um psychische Erkrankungen, Scheidung, Kindesmissbrauch, Behinderung, Homosexualität – nichts, was er auslassen wollte. Der Schreibstil ist mitreißend, wirkt jedoch manchmal fast schon künstlich und schafft es nicht immer, die gewünschten Emotionen zu transportieren.
Bei mir hat der Roman während des Lesens jede Menge Spekulationen ausgelöst. Dazu beigetragen hat sicher, dass ich das Buch gleichzeitig mit Heike von Irve liest gelesen habe und wir uns fortwährend ausgetauscht haben. Wir haben auch überlegt, für welche Altersgruppe wir das Buch empfehlen würden. So können wir uns gut vorstellen, dass Jugendliche mit fünfzehn Jahren das Buch gut verstehen können. Wobei wir durchaus begleitendes Lesen, zum Beispiel im Rahmen von Schullektüre empfehlen würden. Die vielfältigen, gesellschaftlich relevanten Themen werden zum großen Teil nur angerissen, manchmal nur angedeutet.
Im großen und ganzen hat mir “Auf und davon” gut gefallen, auch wenn mich das Ende sehr unbefriedigt zurück gelassen hat. Zwar kriegt der Autor nach seinem Psychotrip wieder die Kurve und alles gleitet in die Normalität zurück, jedoch sind einige meiner Fragen offen geblieben. Beim meinen Recherchen zum Buch bin ich übrigens auf eine interessante Diskussion zum Thema “War Paint” gestoßen, zu der, wenn man den Links folgt, auch David Arnold Stellung bezogen hat. Hier stört sich eine Native American daran, dass David Arnold ihrer Meinung nach die indianische Kultur missbraucht.

© Tintenelfe

Diese Blogger machten sich ebenfalls mit Mim auf den Weg nach Cleveland
Irveliest
Primeballerina
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4 Tintenfässchen

David Arnold: Auf und davon

Cover Heyne fliegtGebundene Ausgabe: 384 Seiten
Verlag: Heyne fliegt(24. August 2015)
Originaltitel: Mosquitoland
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Astrid Finke
ISBN-10: 3453269837
ISBN-13: 978-3453269835
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: € 14,99 [D]
Kaufen und kostenlos liefern lassen: Buchhandlung Graff
Rezensionsexemplar
 
 

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