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Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs (2) [Rezension]

Cover Zeiten des Aufbruchs Carmen Korn
Cover © Kindler Verlag

1949: Die vier Freundinnen Henny, Käthe, Ida und Lina stammen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen. Dabei sind sie im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst nicht weit voneinander entfernt aufgewachsen. Seit Jahrzehnten schon teilen sie Glück und Unglück miteinander, die kleinen Freuden genauso wie die dunkelsten Momente.
Hinter ihnen liegen zwei Weltkriege. Hamburg ist zerstört. Doch mit den Fünfzigern beginnt das deutsche Wirtschaftswunder. Endlich geht es aufwärts: Hennys Tochter Marike wird Ärztin, Sohn Klaus bekommt eine Stelle beim Rundfunk. Ganz neue Klänge sind es, die da aus den Radios der jungen Republik schallen. Lina gründet eine Buchhandlung, und auch Ida findet endlich ihre Berufung. Aufbruch überall. Nur wohin der Krieg Käthe verschlagen hat, wissen die Freundinnen noch immer nicht. (Klappentext Zeiten des Aufbruchs © Kindler Verlag)

“Der Erste Weltkrieg ist vorbei. Väter, Brüder, Söhne, Ehemänner sind nicht zurückgekehrt und hinterlassen leere Plätze in den Familien. Doch es ist Zeit, in die Zukunft und hoffentlich friedliche Zeiten zu schauen.” So begann meine Rezension zum ersten Teil der Jahrhundert-Trilogie von Carmen Korn. Ersetze ich den Ersten Weltkrieg durch den Zweiten Weltkrieg, dann könnte ich diese Rezension genauso beginnen lassen, denn der zweite Teil der Trilogie setzt nahtlos an. Mit einer kleinen Personenübersicht werden zunächst glossarartig die wichtigsten Personen und ihre Beziehungen untereinander vorgestellt, was ich auf jeden Fall für wichtig und gut gelöst halte.

Nach den Kriegsjahren und Zeiten der Entbehrung bricht eine neue Zeit an. Die Freundinnen und ihre Familien lassen auch Erinnerungen unter dem Schutt Hamburgs zurück. Es gibt Dinge, an die man nun nicht mehr denken mag, der Blick geht in die Zukunft. Henny wagt sich nach der Scheidung von ihrem Mann Ernst an eine neue Liebe. Der Gedanke daran, dass es ihr Ex-Mann gewesen sein könnte, der ihre beste Freundin ins KZ gebracht hat, lässt sie dennoch nicht zur Ruhe komme. Sie sucht überall nach Käthe und hofft verzweifelt, dass diese den Todesmarsch überlebt hat. Ida, die ja nun endlich mit ihrer großen Liebe zusammen leben kann, braucht dringend eine Beschäftigung, da ihr Leben “ohne Drama” langweilig ist. Für Drama sorgt aber auch Töchterchen Florentine, das eine Karriere als Model plant und mit ihrem exotischen Aussehen auf dem besten Wege dahin ist. Lina und Louise sind vollauf mit der Aufbau ihrer neuen Buchhandlung beschäftigt und bei der Pensionsinhaberin Guste geben sich weiterhin die Leute die Klinke in die Hand. Ein perfekter Pool für neue Figuren.

Tatsächlich werden viele neue Figuren eingeführt, das Rad der Zeit dreht sich und natürlich lernen die Hauptpersonen neue Menschen kennen, schließen Freundschaften und verlieben sich. Nicht zuletzt ist auch immer wieder mal Nachwuchs in Sicht, wenn auch für die damalige Zeit doch eher verhalten. Doch auch fast schon vergessene Charaktere schleichen sich immer wieder kurz ein und mischen das Leben der Protagonisten auf. Ging es im ersten Teil noch viel mehr um die vier Freundinnen, so hatte ich den Eindruck, dass nicht nur der Nachwuchs inzwischen eine tragende Rolle spielt, sondern auch die Männer zunehmend die erste Geige übernommen haben. Dennoch bleibt es eine beeindruckende Leistung, wie Carmen Korn mit so vielen Figuren über einen so langen Zeitraum spielt und dabei immer die Fäden in der Hand behält.

Carmen Korn zeichnet ein umfangreiches Bild des Lebens im Hamburg der Fünfziger und Sechziger Jahre. Der langsame Wiederaufbau, die Wohnungsnot, die manch vor den Bomben Geflüchteten vor den Toren seiner Heimatstadt stehen lässt, die britische Besatzung und den Klang der neuen Zeit. Neben den aufkommenden neuen Automarken, die die Mobilität vorantreiben, ist es vor allem die Musik, die ein besonderes Gefühl für die Zeit entstehen lässt und für den Aufbruch steht. So arbeitet Hennys Sohn Klaus genauso wie Marikes Ehemann Thies beim NWDR und lässt mit Musik den Sound einer neuen Generation entstehen.

Es ist erheiternd zu sehen, wie das Fernsehen Einzug in die Haushalte hält und die Produkte aus der Werbung zunehmend Bedeutung erlangen. Die Relevanz von Mode und Konsum nimmt zu. Waren die Probleme der kleinen Leute im ersten Band zum Teil noch lebens- oder existenzbedrohlich, ist es nun das Ringen um die kleinen Annehmlichkeiten des Alltags, was die Leute beschäftigt. Man merkt, den Deutschen geht es zunehmend gut. Gleichzeitig ist das Aufbegehren der Jugend in den Sechziger Jahren spürbar. Besonders gefallen hat mir, wie die Autorin behutsam aufzeigt, wie der Krieg und das Verdrängen Einfluss auf spätere Generationen hat. Hier erwarte ich mir für den dritten Teil noch mehr.

Carmen Korn bleibt sich ihrer Linie treu, mit ihrem Roman kleine Schlaglichter auf den Alltag zu werfen. Zeitsprünge sind genauso die Regel wie das Abreißen großer und wichtiger Ereignisse in drei bis vier Sätzen. Dazu zählt für mich auch die Sturmflut im Jahre 1962, auf die ich gewartet hatte, nachdem ich von den Menschen las, die in den Laubenkolonien Unterschlupf gefunden hatten. Das erinnerte mich lebhaft an Kirsten Boies Jugendroman “Ringel, Rangel, Rosen“. Dieser ist auf jeden Fall zu empfehlen, wenn man mehr über die Sturmflut lesen möchte.

Mir hat es großen Spaß gemacht, mich wieder mit Carmen Korn und ihren fiktiven Familien in das Hamburg der Fünfziger und Sechziger Jahre aufzumachen. Die Atmosphäre ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen, auch wenn ich das nicht aus eigenem Erleben bestätigen kann. Die Autorin macht Lust auf Hamburg und vor allem auf die deutsche Geschichte, in dem sie vieles nur anreißt und neugierig macht. Auf den dritten Teil bin ich schon sehr gespannt. Er scheint ja noch auf sich warten zu lassen.

© Tintenhain


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Leseprobe

Die Trilogie
1. Töchter einer neuen Zeit (2016) – Rezension
2. Zeiten des Aufbruchs (2017)
3. Zeitenwende (2018) – Rezension


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Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs

Trilogie, Band 2
Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
Verlag: Kindler (Rowohlt) (23. Juni 2017)
ISBN-10: 3463406837
ISBN-13: 978-3463406831
Preis: 19,95 (D)
Bücherei
Cover Zeiten des Aufbruchs Carmen Korn
Cover © Kindler Verlag

2 Kommentare

  1. Habe die beiden Bände der Jahrhunderttrilogie mit Begeisterung gelesen.
    Wann erscheint denn endlich der 3.Band?
    Viele Grüße
    Helga

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