Tintenhain – Der Buchblog

Heine Bakkeid: “… und morgen werde ich dich vermissen” (1) [Rezension]

Cover (c) Rowohlt Verlage

Thorkild Aske wird aus dem Gefängnis entlassen. Früher war er interner Ermittler bei der norwegischen Polizei und ein gefragter Verhörspezialist, doch dann lief etwas entsetzlich schief. Nun steht er vor dem Nichts. Von Schuldgefühlen und Schmerzen geplagt, lässt er sich von seinem Freund und Psychologen Ulf überreden, nach einem jungen Mann zu suchen: Rasmus Moritzen arbeitete auf einer verlassenen Leuchtturmwärterinsel im nordnorwegischen Meer. Er ist spurlos verschwunden. Ein Tauchunfall, vermutet die örtliche Polizei, für sie ist der Fall erledigt. Doch damit wollen sich Rasmus’ Eltern nicht zufrieden geben.
Thorkild macht sich auf in den Norden, wo die Polarnacht anbricht. Bald schon bemerkt er, dass er nicht allein auf der kargen Felseninsel ist. Und als die Herbststürme wüten, wird tatsächlich eine Leiche angeschwemmt. Thorkilds alter Spürsinn erwacht: Denn es handelt sich nicht um Rasmus. (Klappentext)

Kein skandinavischer Ermittler ohne Brüche in der Biographie, Alkoholkonsum und sozialer Unverträglichkeit. Das Erfolgsrezept skandinavischer Krimis schlägt auch bei Heine Bakkeid zu, der uns in seinem Serien-Auftakt “… und morgen werde ich dich vermissen” den ehemaligen Verhörspezialisten Thorkild Aske vorstellt. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, von Schuldgefühlen und Schmerzen geplagt, von Medikamenten und Alkohol umnebelt, so präsentiert sich Thorkild als menschliches, selbstzerstörerisches Wrack mit Verdauungsproblemen.
Als er von ehemaligen Bekannten, denen er noch einen Gefallen schuldet, gebeten wird, nach ihrem verschwundenen Sohn auf einer norwegischen Leuchtturminsel zu suchen, hat Thorkild endlich eine Aufgabe, die ihn mehr fordert als die anstehende Berufswahl im Resozialisierungsprogramm. Er macht sich auf den Weg in den Norden und tatsächlich findet er eine Leiche. Doch es ist nicht der verschwundene Rasmus Moritzen, sondern eine Frau. Als dann auch noch zwei Beamte verschwinden, befindet sich Thorkild schneller im Visier der Obrigkeit als ihm lieb sein kann.

Der Roman beginnt schnell und fordert die volle Konzentration des Lesers, um Thorkilds Gedankengängen, die zwischen Schmerzen, Gegenwart, Medikamentenrausch und Vergangenheit rotieren, folgen zu können. Doch durch kleine Rückblenden erfährt man schnell, was eigentlich geschehen ist und warum er im Knast gelandet ist. Gleichzeitig geht es auf die kleine Leuchtturminsel, wo Thorkild schnell merkt, dass hier etwas im Argen liegt. Es bleibt trotz kleinerer Längen durchgehend spannend.

Der ehemalige Ermittler in einer Sondereinheit ist ein interessanter Charakter mit Ecken und Kanten, bei dem man nicht weiß, ob man ihn mögen soll. Vielleicht nicht gerade ein Sympathieträger, aber dennoch ein Mann, bei dem man gern verstehen will, warum er so ist, wie er geworden ist. Nach außen hin der harte Ex-Cop, der jede Verhörfrage im Voraus ahnt, so zeigt er  dem Leser durch aus auch eine weichere, verletzliche Seite. Er kämpft mit starken Medikamenten, um sich das Leben halbwegs zu erleichtern. Doch manchmal weiß man dadurch nicht, was Wirklichkeit und was Wahn ist. Kann man Thorkild  und seiner Wahrnehmung vertrauen?

Der Roman lebt vor allem von der unglaublich intensiven Atmosphäre und der bildhaften Erzählweise des Ich-Erzählers Thorkilds, die den Leser sofort in ihren Bann zieht. Man spürt den Wind auf der Haut und riecht das Salz des Meeres, aber auch den Gestank der Leichen. Zwar wird es zeitweise durchaus ein bisschen eklig, aber glücklicherweise nicht unerträglich. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die detailliert beschriebenen Verdauungsprobleme von Thorkild Aske, die wiederum symbolisch-metaphorisch betrachtet werden können. Dann wird es fast schon wieder nachvollziehbar, ständig mit ihm auf die Toilette gehen zu müssen.

Eine Besonderheit sind sicher auch die verwirrenden, übernatürlichen Szenen, in denen Thorkild, der einen isländischen Vater hat, immer wieder Kontakt zu den Toten aufnimmt. Nicht im ermittlerischen Sinne als vielmehr in einer geisterhaften Atmosphäre aus Rausch, Wunsch und Verzweiflung. So hat mich Heine Bakkeids Krimidebüt dann ein wenig an Yrsa Sigurðardóttir erinnert, auch wenn er hier nicht mithalten kann.

Mehr Kriminalroman als Thriller hat mich der Auftakt der Thorkild-Asken-Reihe trotz anfänglicher Schwächen überzeugen können und ich kann mir vorstellen, noch weitere Fälle mit dem eigenwilligen Ermittler zu lösen.

© Tintenhain

Leseprobe

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Heine Bakkeid “… und morgen werde ich dich vermissen”

Reihe Band 1
Taschenbuch:
416 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (23. Juni 2017)
Originaltitel: Jeg skal savne deg i morgen
Übersetzung aus dem Norwegischen: Ursel Allenstein
ISBN-10: 3499290553
ISBN-13: 978-3499290558
Preis: 14,99 € (D)
Rezensionsexemplar

Cover (c) Rowohlt Verlage

 

15 Kommentare

  1. Hey
    na das scheint mir ja ein grenzwertiger Typ zu sein, aber irgendwie mag ich die. All diese nordischen Ermittler mit ihren Macken und schrullen lese ich sehr gerne. Auch weil die Fälle immer etwas anders sind .
    Deine Rezension macht mich jedenfalls sehr neugierig auf dieses Thorkild und seine isländische Wurzeln.
    Schwupp auf die WuLi
    Liebe Grüße
    Kerstin

  2. Hallo Tintenhain,
    auf Lovelybooks gibt es gerade eine Leserunde zu diesem Buch …
    Für alle anderen: es werden 25 Bücher verlost.

    Ich hatte bereits mitgemacht und diese Rezension von dir bestärkt mich, dass ich das Buch lesen will.

    Viele Grüße
    Tanja vom Bücherfüllhorn

  3. Guten Morgen!

    Also ich mag ja auch grenzzwertige Typen, aber der hier … mit dem kann ich irgendwie gar nix anfangen 🙁 Ich bin jertzt bei der Hälfte und finde es ehrlich gesagt extrem langweilig. Alles plätschert so dahin und es wird so vieles andere detailliert beschrieben, dass die Krimihandlung komplett auf der Strecke bleibt. Aber vielleicht tut sich ja in der zweiten Hälfte noch was ^^

    Liebste Grüße, Aleshanee

    1. Vielleicht klappt’s bald mit der Verdauung! 😂 Das fand ich ziemlich nervig, aber langweilig fand ich es nicht. Da es der Auftakt ist dreht es sich ziemlich viel um ihn. Stimmt schon.

      1. Dass es sich im ersten Band viel um ihn dreht wäre ja okay, war ja z. B. bei der Krimireihe von Hjorth & Rosenfeldt auch so – auch ein sehr kaputter Protagonist. Aber viel greifbarer. Thorkild hier … also ich weiß nicht, der war mir dermaßen unsympathisch und seltsam in seinem ganzen Verhalten und vor allem gabs irgendwie nichts, was jetzt mit Ermittlungen zu tun hat.
        Ein Thriller ist es ja wirklich nicht, aber für einen Krimi gabs für mich eben nichts, was dazu gepasst hätte, außer vielleicht der Schluss.

        Aber es ist eben immer wieder schön zu sehen, wie unterschiedlich Bücher gelesen werden, bzw. wie sie wirken mein ich natürlich 🙂

  4. Hallöchen,
    Der Klappentext hat mich sofort sehr neugierig auf das Buch gemacht und da ich eh ein großer Fan skandinavischer Thriller bin, wanderte der Titel gleich auf die Wunschliste. Deine Rezension schmälert die Euphorie ein wenig, dafür bin ich jetzt noch neugieriger geworden.
    Mal sehen, ob mich das Debüt überzeugen kann.
    Danke auf jeden Fall für deine Vorstellung.
    Liebe Grüße, Julia

    1. Wenn Du auf skandinavische Thriller stehst, ist das hier genau das Richtige für dich. Sei unbesorgt. 🙂
      Ich freu mich dann auf Deine Rezension. Würde gern wieder ein paar verlinken!

      Liebe Grüße
      Mona

  5. Liebe Mona,

    dieser Titel hat mich sehr eingenommen. Die Atmosphäre hat mich mit Haut und Haaren durch das Buch getrieben. Längen habe ich durchaus auch empfunden, aber ich konnte sie akzeptieren und sie passten zu dem eher ruhigeren Vorantreiben der Story. Den Einlauf hätte ich mir gern erspart ;-).

    Liebe Grüße

    Nisnis

  6. Hey 🙂 Mir hat deine Rezension sehr gut gefallen, da ich viele Einschätzungen so absolut teilen kann. Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, gerade die Atmosphäre, die durch plastische Beschreibungen der seelischen und körperlichen Leiden kreiert wird. Ich mag Thorkild und denke wie du, dass ich mehr von ihm lesen würde. Ich habe daher deine Rezension unter meiner verlinkt. Falls dir das nicht gefällt, sag nur Bescheid, dann entferne ich den Link wieder.

    Liebe Grüße,
    Julia

  7. Wunderbar, danke Mona – das hat mich richtig lesehungrig gemacht!

    Da werde ich wohl am Montag tatsächlich durch Berlins momentanen Bilderbuchsommer zu meinem Lieblingsbuchladen laufen …

    Ganz herzlichen Dank für diese Anregung und eine sorglose, lesefutterreiche Zeit
    Bianka

    1. Liebe Bianca,

      es gibt inzwischen einen zweiten Teil, den habe ich jedoch noch nicht gelesen. Nur als Hinweis, falls du dann noch weiterlesen möchtest.

      Liebe Grüße
      Mona

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