Tintenhain – Der Buchblog

Rafik Schamis “Der Wunderkasten” – Ein orientalischer Schatz für jedes Bücherregal

Cover (c) Edition Bracklo

“Es war einmal ein Hirtenjunge, der hieß Sami. Er war – wie ihr seht – schöner als der Mond und mutiger als ein Panther. Aber er war arm wie ein Bettler. Eines Tages, als er gerade die Schafe und Ziegen seiner Herren zur Dorfquelle führte, erblickte er die junge Leila. Schöner als eine Rose  und anmutiger als eine Gazelle war sie. Voll Bewunderung blieb Sami stehen und starrte sie an. Da drehte Leila sich um und bat ihn mit leiser Stimme, ihr doch zu helfen und den schweren Wasserkrug auf ihre Schulter zu heben.

Bei Allah, Kinder, ich sage euch, natürlich konnte Leila ihren Krug auch selbst hochheben, aber sie mochte Sami schon seit langem und wollte endlich mit ihm sprechen.”

Wer diesen Blog kennt, weiß, dass mich mit Rafik Schami eine ganz besondere Liebe verbindet. Sein Bilderbuch “Der Wunderkasten” erschien erstmals im Jahre 1990 und war gleichzeitig  das erste Bilderbuch, das ich von diesem großartigen Schriftsteller las, damals aus der Bücherei.
Umso mehr freute ich mich zu entdecken, dass der Verlag Edition Backlo dieses Buch als zauberhaft gestaltete Neuauflage herausgibt. Das Buch ist ein kleiner Schatz, in rotem Leinen gebunden mit geprägtem Titel und wunderschön von Peter Knorr illustriert – ein Prachtstück in jedem Regal eines Buchliebhabers.

Rafik Schami erzählt in diesem Buch von einem alten Mann, der mit seinem Wunderkasten durch das alte Syrien reist und Geschichten lebendig werden lässt. Die Kinder lauschen begierig der Geschichte von Sami, der auf einem Löwen reitet und seiner Liebe zur wunderschönen Leila. Die Geschichte ist immer dieselbe und doch wird sie jedes Mal neu erzählt. Eine anmutige Geschichte, die lustig ist und gleichzeitig von großen Heldentaten und einer noch größeren Liebe berichtet und die die Herzen wärmt. Dafür verzichten die Kinder auch schon mal auf ein Eis, den beim Wunderkasten ist der Piaster besser angelegt.

Doch mit den Jahren verblassen die gezeichneten Bilder des Gucklochkastens und der alte Mann ersetzt sie durch Bilder aus Zeitschriften. Aus Leila wird Kolgata mit den strahlend weißen Zähnen und ihr Vater mutiert zum Autohändler. Für die Löwenmilch, die Sami als Brautpreis zahlen muss, ist kein Abenteuer mehr nötig, die gibt es nebenan im Reformhaus. Bald beginnen sich die Kinder bei den neuen Geschichten zu langweilen und der alte Mann wird verspottet. Bis er schließlich zu einer List greift und die kleinen Zuhörer wieder auf seine Seite zieht.

Nachdem ich die ersten Seiten gelesen hatte, hielt ich inne und rief meine Kinder zu mir. Ich wollte sehen, was das Buch mit ihnen macht. Und tatsächlich, meine Vermutung bestätigte sich. Immer wieder beugten sie sich nach vorn und schauten sich die Bilder genau an. Denn Rafik Schami lenkt in seiner Erzählung von Sami und Leila immer wieder ganz bewusst den Blick des Lesers auf die wunderschönen Illustrationen von Peter Knorr. Es macht auch Spaß, die alten Bilder mit den neu ersetzten zu vergleichen und so den Wandel der Geschichte nachzuvollziehen.

Schami erhält wie immer orientalisch blumig, humorvoll mit einem Augenzwinkern und ein wenig nostalgisch. Das unterschwellige Thema vom Wandel der Erzähltraditionen im Zuge von technischem Fortschritt und dem Einfluss der Medien ist Erwachsenen sicher sofort bewusst, muss jüngeren Kindern aber noch einmal erklärt werden.

Ein zauberhaftes Buch, bei dem meinen Kindern vor allem der Trick des Alten gefallen hat, denn nichts ist stärker als die Macht der Fantasie.

© Tintenhain

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Rafik Schami: Der Wunderkasten

Bilderbuch
Gebundene Ausgabe: 52 Seiten
Verlag: Edition Bracklo (1. Januar 2017)
Illustrationen: Peter Knorr
ISBN-10: 3981744322
ISBN-13: 978-3981744323
Altersempfehlung: ab 3 Jahren
Preis: € 29,80 [D]
Rezensionsexemplar

Cover (c) Edition Bracklo

4 Kommentare

  1. Hallo Mona,
    ich will schon länger einmal ein Buch von Rafik Schami lesen (auch weil ich mir vorgenommen habe, mit meiner Buchwahl öfters einmal über den Tellerrand zu schauen) und dieses hier hört sich nach einer wirklich wunderbaren Geschichte an!
    Ich habe vorher noch nie davon gehört, aber es ist jetzt direkt auf meiner WuLi gelandet!
    Liebe Grüße
    Celina
    PS: Der Link zu Literaturschock für „Schöner Lesen ohne Nazis: Kein Platz für Fremdenhass!“ scheint nicht mehr zu funktionieren, jedenfalls lande ich immer auf der 404-Fehler-Seite (die ist allerdings so cool, dass man es fast lassen könnte :D)

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