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Marie Buchinger: Ein Tal in Licht und Schatten [Rezension]

Ein Tal in Licht und Schatten Cover © Droemer Knaur
Cover © Droemer Knaur

Gadertal, Südtirol, Anfang des 20. Jahrhunderts: Die kleine Elisa Kastlunger verehrt ihre älteren Brüder, die schützend ihre Hand über das ungestüme Mädchen halten. Der Vater führt die Familie mit harter, aber gerechter Hand. Auf dem Hof hat jeder seine Aufgabe, nur so kann das harte Leben der Bergbauern bewältigt werden. Daran erst gewöhnen müssen sich die Kinder des neuen Nachbarn Costa, die bisher in Italien lebten. Vor allem Chiara fällt das Leben in den Bergen schwer. Vito, der ältere Sohn der Familie, versucht sich an das neue Leben anzupassen, was ihm mit Hilfe Elisas und ihres Bruders Mischi immer besser gelingt.
Als 1914 der Krieg ausbricht, müssen Elisas Brüder  an die Front und das Leben im Tal ändert sich. Die Frauen bewirtschaften die Höfe nahezu allein und übernehmen die Verantwortung. Doch als 1915 Italien in den Krieg eintritt, ist die Front plötzlich ganz nahe. Auch Vito muss nun in den Krieg ziehen und sich entscheiden, auf welcher Seite er kämpfen will. Gehört er auf die Seite seiner italienischen Familie oder eher doch an die Seite der Freunde aus der neuen Heimat? Längst ist Vito klar geworden, dass er mehr als nur brüderliche Gefühle für Elisa hegt. Während Vito in den Krieg zieht und entscheiden muss, für welche Seite er zum Verräter wird, kämpft Elisa um die Existenz ihres Hofes und wartet sehnsüchtig auf Vitos Rückkehr.

“Ein Tal in Licht und Schatten” – besser hätte der Titel kaum gewählt sein können. Immer wieder legt sich ein Schatten auf das Tal im südlichen Südtirol, wo Ladinisch gesprochen wird und nur langsam der Fortschritt Einzug hält. Doch das Leben geht weiter und mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs hofft man um so mehr auf die kleinen Lichtblicke, die sich entgegen allen Erwartungen dennoch immer wieder abzeichnen.

Im Mittelpunkt stehen die Familien Kastlunger und Costa. Während die Kastlungers seit Generationen in dem Tal leben, hat Jakob Costa als junger Bursche das Tal für eine längere Zeit verlassen und in Italien eine eigene Familie gegründet. Mit seiner Entscheidung ins Val Badia, das Gadertal, zurück zu kehren, um Wein anzubauen, ist seine Familie todunglücklich. Tochter Chiara kann sich mit dem bäuerlichen Leben nicht anfreunden, und Sohn Vito hatte eigentlich vor zu studieren, statt irgendwo in den Bergen zu versauern.

Die Kastlungers, allen voran Elisa und Mischi, tun ihr Bestes, um die Nachbarsfamilie heimisch werden zu lassen. Elisa lernt  mit Vito Ladinisch und Deutsch, ein Umstand, der ihm später das Leben retten soll. Mischi nimmt Vito mit in die Berge und macht ihn mit den Sagen der Dolomiten vertraut. Langsam kommen auch die Costas im Tal an und zwischen und Elisa und Vito zeichnen sich zarte Bande ab.

Zunächst gemächlich und behutsam breitet sich das Leben im Tal vor dem Leser aus. Die schwere Arbeit der Bauern, die tiefe Gläubigkeit, aber auch die fröhlichen Feste und alten Bräuche zeichnen ein lebendiges Bild. Mehr als zehn Jahre begleiten wir die Bewohner des Tals bis das Ende des Ersten Weltkrieges das Schicksal Südtirols beschließt. Der Krieg bringt nicht nur Unruhe in die beschauliche Bergwelt, sondern zunehmend auch Fahrt in die Handlung. Von der Proklamation des Kaisers “An meine Völker” an, gelang es mir nicht mehr, das Buch aus der Hand zu legen. Schlag auf Schlag folgen die Nachrichten von der Front, und der Überlebenskampf sowohl an der Front als auch im heimatlichen Gadertal hält den Leser in Atem. Dabei gelingt es Marie Buchinger, das Leben der Zivilisten und das der Soldaten anschaulich zu beschreiben und die inneren Konflikte der Menschen einfühlsam nahezubringen. Vito, halb Italiener, halb Tiroler, wird überall Misstrauen entgegen gebracht. Elisa unterstützt zunächst freiwillig, doch zunehmend widerwillig die deutsch-österreichischen Truppen, die sich am Eigentum der Bauern gütlich tun – im Namen des Kaisers. Doch Elisa gelingen immer wieder kleine Kniffe, sich der unliebsamen Besatzung zu erwehren und auch Vito findet seinen Weg durch die Wirren des Kriegs.

Geradezu liebevoll zeichnet Marie Buchinger ihre Charaktere, für die sie sich viel Zeit nimmt. Auch wenn Elisa anfangs beinahe zu oft die Hände ringt oder zornig aufstampft, so sind es doch gerade die rebellischen Charaktere, die man zunehmend ins Herz schließt. Besonders bewegend sind die Szenen zwischen Vater und Söhnen, es hat mir so manches Mal das Herz zerrissen. Auch die junge Liebe zwischen Vito und Elisa wird wunderbar zart erzählt und es gibt einige Szenen, die sehr zu Herzen gehen. Krieg ist natürlich grausam und auch wenn Marie Buchinger zurückhaltend ist, so spart sie doch auch die schlimmen Seiten des Krieges nicht aus. Verrohte Soldaten, sadistische Offiziere, Folter, Kriegsverbrechen – immer wieder muss man beim Lesen innehalten, zu aufgewühlt, um weiterzulesen. Doch stets gibt es auch einen Lichtstreif, weshalb ich den Titel so vortrefflich gewählt empfinde. Immer wieder setzt sich auch Menschlichkeit durch, Verbundenheit und Freundschaft. Besonders die Frauen haben mir sehr imponiert und ich würde sie als die wahren Kriegshelden bezeichnen.

“Ein Tal in Licht und Schatten” ist ein sehr berührendes Buch, das mich oft hat innehalten lassen. Gleichzeitig bietet es Einblick in die ladinische Region Südtirols und über die Zeit des Ersten Weltkrieges an der Italienischen Frontlinie. Für mich war das sehr spannend, da ich mich in diesem Jahr erstmals mit der wechselhaften Geschichte Südtirols beschäftigt habe.
Um der Geschichte Authentizät zu verleihen, verwendet Buchinger Begriffe und Redewendungen aus dem Ladinischen, die zum Teil in einem Glossar erklärt werden, wobei sich die Bedeutungen ohnehin aus dem Text ergeben. Das dem Roman vorangestellte Personenregister kann helfen, mit der Vielzahl der Talbewohner zurecht zu kommen, andererseits hatte ich zu Beginn des Buches beim Lesen längere Pausen und wusste aufgrund der sehr gut ausgearbeiteten Charaktere immer sofort, um wen es ging.

“Ein Tal in Licht und Schatten” erhält von mir eine ganz klare Leseempfehling für einen gekonnt erzählten, anrührenden, zuweilen leidenschaftlichen, historischen Roman, der die Liebe zu den Bergen und der ladinischen Bevölkerung Südtirols ausdrückt.

Hinter Marie Buchinger verbirgt sich die Autorin Diana Menschig, die hiermit nach “Hüter der Worte” und “So finster, so kalt” ihren ersten historischen Roman vorlegt. Auf ihrem Blog “Seitenrauschen” kann man den Entstehungsprozess verfolgen und Hintergründe zum Buch erfahren.

© Tintenhain

Autorenblog5 Tintenfaesschen

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Marie Buchinger: Ein Tal in Licht und Schatten

Broschiert: 656 Seiten
Verlag: Knaur TB (1. August 2016)
ISBN-10: 3426517558
ISBN-13: 978-3426517550
Preis: € 14,99 [D]
Rezensionsexemplar

Cover © Droemer Knaur
Cover © Droemer Knaur

14 Kommentare

  1. Hallo Mona! Dieses Buch würde mich auch sehr interessieren, aber leider traue ich mich nicht es zu lesen. Vor allem wegen der Kriegsthematik, denn bei historischen Büchern kommen immer wieder diese rohen Szenen vor, nach denen ich wieder wochenlang nicht schlafen kann. Aber es klingt wirklich gut, so wie du es hier beschreibst und ich denke, deine Rezi reicht für mich schon. 🙂
    Liebe Grüße!
    Klaudia

      1. Auch nicht gut. Ich habe eine blühende Fantasie und die stellt mir dann wunderbar detaillierte Bilder zusammen, die dann immer beim Einschlafen kommen -.-

  2. Schon in deiner Rezension klingt an, was Kriege den Menschen antun und wie sie in gegnerische Lager gezwungen werden, obwohl sie doch eigentlich zusammengehören möchten. Ich werde es mal auf meine (ohnehin schon zu umfangreiche) Leseliste setzen.
    LG, Ingrid

  3. Vielen Dank fuer diese Rezension!
    Ich habe mir das Buch während meines Wanderurlaubes in den Dolomiten eher zufällig gekauft und war sofort gefesselt. Genau wie beschriebenen, zieht die Geschichte den Leser in seinen Bann und fordert ganz nebenbei auch nochmal das Geschichtswissen heraus. Von den tragischen Ereignissen betroffen, fragte ich mich, ob es nur mir so geht und fand dann diese tolle Bewertung. Diese fiktive Geschichte in die wahren Begebenheiten eines Ersten Weltkrieges so einfuehlend einzubetten, die Menschen, das Leben und die Landschaft so dicht zu beschreiben ist ein wunderbarer Lesemonent. Ich kann das Buch nur empfehlen!!

  4. Ich habe es ausgelesen und finde es einfach nur wunderbar. Dabei fing es ein wenig langweilig an 😉 Aber irgendwann konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Jetzt muss ich mal eine Rezension schreiben.
    LG, Ingrid

  5. Ich habe es ausgelesen und finde es einfach nur wunderbar. Dabei fing es ein wenig langweilig an 😉 Aber irgendwann konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Jetzt muss ich mal eine Rezension schreiben.
    LG, Ingrid

  6. Pingback: Blogtour zu "Ein Tal in Licht & Schatten" | Büchernische

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