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Nagib Machfus: Die Midaq-Gasse [Rezension]

Nagib Machfus Die Midaq-Gasse
Cover © Unionsverlag

Kairo am Ende des zweiten Weltkrieges.  Noch verheißt der Dienst in der englischen Armee den jungen Burschen Aussicht auf ein besseres Leben, auf gute Bezahlung und schicke Kleidung. Auch Abbas Al-Hilu, Friseur in der Midaq-Gasse, entscheidet sich eines Tages zum Militär zu gehen, um das Geld für die Heirat mit der schönen Hamida zu verdienen. Doch Hamida hat ganz andere Pläne. Sie träumt davon der engen, schmutzigen Gasse zu entfliehen und geht dafür ein Wagnis ein.

Einst sonnte sie sich in ihrem Glanz, die kleine Midaq-Gasse an der Sanadiqija-Straße, mit dem berühmten Kirscha-Kaffeehaus, den Arabesken an den Wänden, die nun bröckelig und morsch sind. Der Umbruch der Zeit ist nicht aufzuhalten, selbst die Tage der mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Herrschaft der Engländer sind nun gezählt. Man strebt nach Wohlstand und Anerkennung. All das macht auch nicht Halt vor der kleinen Gasse, in der es einen Bonbonladen, einen Friseur, eine Bäckerei, eine Handelsfirma und natürlich das Kaffeehaus Kirscha gibt.

Hier leben die unterschiedlichsten Menschen: Die Jungen, die der Enge der Gasse entfliehen wollen, der gemütliche Bonbonverkäufer Kamil, Umm Hamida, die als Brautwerberin stets mit dem neuesten Klatsch vertraut ist. Die Bäckersfrau verdrischt regelmäßig ihren duldsamen Mann, beobachtet vom Untermieter Zita, dessen schmutziges Gewerbe Bettlern zu mehr Einkünften verhilft. Den Kaffeehausbesitzer Kirscha interessiert nichts mehr als sein Haschisch und sein Begehren, der Sohn ist ihm fremd, die Frau zuwider.

Auf engem Raum bleibt den Bewohnern der Gasse kaum etwas voneinander verborgen, tausende kleine Geschichten erfüllen die Gasse mit Leben. Nagib Machfus, der sich mit den alten Stadtvierteln Kairos sehr verbunden fühlt, siedelt seine Romane hier an. Er erzählt in ruhigem Ton ohne großen Spannungsbogen vom einfachen Leben der Menschen, ihren Sorgen und Nöten, ihren Freuden und Träumen. Die Spannung wird  letztendlich aus der Faszination am vielschichtigen Leben der Bewohner der Midaq-Gasse geboren. Die Geschichten der Menschen sind miteinander verwoben und doch zeichnet sich ein roter Faden ab, der sich entlang der verhängnisvollen Beziehung zwischen dem Friseur Abbas Al-Hilu (der Schöne) und der schönen und ehrgeizigen Hamida zieht.

Machfus gelingt es, auf einzigartige Weise, die Atmosphäre der Gasse einzufangen. Mal laut, mal leise, mal voll Trauer, mal erfüllt von Freude und immer als Kulisse für das Leben der Bewohner. Nicht in seiner Erzählweise, jedoch in der Liebe zum Erzählen über die einfachen Menschen in ihrer angestammten Umgebung, erinnert mich Machfus oft an meinen Lieblingsschriftsteller Rafik Schami. Beide lassen ein sehr lebendiges, orientalisches Bild aus jüngst vergangenen Zeiten entstehen und wecken Empathie für die Menschen ihrer Heimatstädte.

“Die Midaq-Gasse” sei allen empfohlen, die Interesse an orientalischer Lebensweise haben, Freude an kleinen Geschichten über unterschiedliche Menschen, ihr Leben und ihre Schicksale, haben. Im Lesekreis haben wir festgestellt, dass auch Soap-Liebhaber hier voll auf ihre Kosten kommen.

© Tintenhain


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Einzelband
Taschenbuch: 363 Seiten
Verlag: Unionsverlag (Oktober 2007)
Übersetzung aus dem Arabischen: Doris Kilias
ISBN-10: 3293204023
ISBN-13: 978-3293204027
Originaltitel: Zuqaq al-Middaqq, زقاق المدق
Preis: € 11,90 [D]
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Nagib Machfus Die Midaq-Gasse
Cover © Unionsverlag

11 Kommentare

      1. Guten Morgen, liebe Mona!
        Ach was, da brauchst Du nicht nervös zu sein. Solche Art von Büchern interessieren mich ja sehr und es ist ein Tipp gewesen und weiter nichts.
        Auf alle Fälle werde ich Dich wissen lassen, wie ich das Buch fand. Das Lesen wird ohnehin ein Weilchen dauern, mal sehen, wie ich Zeit finde.
        Mach Dir da bloß keinen Kopf…
        Schönes Wochenende!!!
        Gruß Karen

    1. Ich komme im Moment immer nicht so richtig dazu, deine Blogeinträge zu verfolgen und sammle nur die Mails. Sobald ich ein bisschen Luft habe, schaue ich mal genauer. 🙂
      Lieben Gruß
      Mona

  1. Hallo Mona,
    so eine Art von Büchern mag ich sehr. Und ich finde, du hast es richtig schön vorgestellt. 🙂 Da ich zur Zeit unheimlich gerne in die orientalische Welt abtauche, werde ich mir den Autor sowie den Titel sofort notieren. 🙂
    Hier noch ein Film-Tipp, der thematisch ziemlich gut passt: Im Moment läuft “Mein Herz tanzt” in den deutschen Kinos – die Verfilmung von “Tanzende Araber”. Der Film ist wirklich wunderschön und unbedingt zu empfehlen. 🙂
    Lieben Gruß
    von Tina

    1. Hallo Tina, dann kennst du sicher auch Rafik Schami. Ich hatte hier letztens auch über unseren Wüsten-Lesekreisabend berichtet. Vielleicht ist da auch wss für dich dabei. Danke auch für den Filmtipp, mal sehen, ob ich das schaffe.
      Schönes Wochenende,
      Mona

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