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Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte [Rezension]

Cover (c) btb

Inhalt:
Hajime ist Einzelkind – Shimamoto ist Einzelkind. Beide sind 12 Jahre alt und zwischen ihnen entwickeln sich eine tiefe Freundschaft und erste zarte Bande der Liebe. Doch die beiden verlieren sich aus den Augen. 25 Jahre später: Hajime führt inzwischen ein solides Leben, ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist erfolgreicher Geschäftsführer zweier Bars. Shimamoto jedoch hat er nie vergessen können. Als sie dann eines regnerischen Tages in seiner Bar auftaucht, ist es als wäre für Hajime die Sonne aufgegangen. Er stürzt sich in eine Affäre, die ihn alles kosten kann.

“In der Welt, in der ich lebte, war man allgemein der Überzeugung, Einzelkinder seien verzogen, schwach und egozentrisch.”

Die recht kurze Erzählung beginnt in der Kindheit Hajimes, der sehr unter dem Status eines Einzelkindes leidet.  In anderen Einzelkindern glaubt er Seelenverwandte zu finden. So auch in Shimamoto, die ganz in seiner Nähe wohnt und die durch eine leichte Gehbehinderung Schwierigkeiten hat, sich mit anderen Kindern anzufreunden. Die beiden verbindet ihre Einsamkeit und die Liebe zur Musik. Als Hajime in einen anderen Stadtteil zieht, wagt er nicht, Shimamoto zu besuchen, da er glaubt, dass sie nun, da sie nicht mehr in einer Klasse sind, auch nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Er stilisiert das Mädchen zur Ikone – keine andere Frau wird jemals an sie heranreichen können und eine Gehbehinderung wird für ihn zum erotischen Merkmal.
Hajimes erste Freundin Izumi merkt durchaus, dass da noch mehr ist. Sie verweigert sich ihm mit den Worten: “Sei nicht zu ungeduldig. Das geht bei mir nicht so schnell. Ich bin nicht so gescheit. Ich brauche eine Menge Zeit, um mich auf alles Neue vorzubereiten. Kannst du warten?” (S. 27) Sie betrügt er mit ihrer Cousine, eine Tat, über die das Mädchen nie hinwegkommen wird. Erst spät lernt Hajime seine Frau kennen, mit der er zwei Kinder haben wird. Shimamoto ist immer in seinen Gedanken und eines Tages auch in seiner Bar.
Der Roman ist aus der Sicht Hajimes erzählt, was durchaus im weiteren Verlauf der Handlung das merkwürdige Frauenbild im Roman erklären kann. Frauen werden vorrangig über ihr Äußeres definiert, nehmen sich selbst zurück und kreisen in ihren Gedanken und Taten allein um Hajime. So wie die erste Freundin, die “zu dumm” ist, um mit ihm Sex zu haben und den Rest ihres Lebens darunter leiden wird. Auch Shimamoto konnte Hajime nie vergessen, allerdings bleibt sie geheimnisvoll und distanziert, beinahe wie ein Phantom.
Hajime selbst ist in seiner Besessenheit und Selbstbezogenheit ein höchst unsympathischer Charakter. Er wirkt gefangen in seinen Beziehungen und zugleich mehr als einmal gefühlskalt und charakterlos. Nur einmal zeigt er Tendenzen sich zum Beispiel aus dem (finanziellen) Griff seines Schwiegervaters zu entziehen, dem er ansonsten nichts entgegenzusetzen hat.
Murakami schreibt schnörkellos und dennoch poetisch. Ich war fasziniert, wie es ihm gelingt, eine relativ belanglos erscheinende Geschichte interessant und anziehend zu erzählen. Plätschert die Erzählung anfangs noch dahin, gerät sie mit dem Eintritt Shimamotos in Hajimes Erwachsenenleben in einen regelrechten Sog. Ihren wirklichen Reiz jedoch entfaltet die Geschichte ähnlich wie in “Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki” erst ganz zum Schluss. Hier spielt Murakami gekonnt mit dem Verwischen der Grenzen von Wirklichkeit und Phantasie.
Ich habe die Übersetzung aus dem Englischen gelesen, da ich erst später festgestellt habe, dass es inzwischen eine neue Übersetzung aus dem Japanischen gibt. Die entsprechende Ausgabe ist unter dem Titel “Südlich der Grenze, westlich der Sonne”, übersetzt von Ursula Gräfe, im DuMont-Verlag erschienen.
© Tintenelfe4 Tintenfässchen

Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte

Cover (c) btb
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: btb (29. September 2008)
ISBN-10: 344273889X
ISBN-13: 978-3442738892
Originaltitel: Kokkyo no minami Taiyo no Nishi
Preis: € 8,00 [D]

 

4 Kommentare

  1. So ein tolles Buch – es war meine Murakami-Einstiegsdroge ;-). Schöne Rezension, die Lust aufs Nochmallesen macht!

  2. Es ist zwar schon eine kleine Ewigkeit her, seit ich dieses Buch lesen habe, aber ich fand es auch sehr schön. Vielleicht sollte ich wieder mal etwas von Murakami lesen…

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